Antarktisches Petting war unser Ende

Sie läßt sich nicht vorschreiben, wie lesbisch sie zu sein hat: die ehemalige Stripteasetänzerin Cora Frost  ■ Von Heike Blümner

Es gibt nur wenige Orte in Berlin mit wirklichem Schmacht-Ambiente. Einer davon ist der Rote Salon der Volksbühne. Verwegenes Rot an den Wänden, plüschige Sofas und glitzernde Leuchter geben auch politischen Diskussionen etwas Mondänes – „Schöner streiten“. Eigentlich muß es hier aber knistern.

In ihrem „Starimbiß“ spielt die Chansonette Cora Frost zunächst einen betrunkenen russischen Soldaten. Eingehüllt in einen derben Mantel und unter einer Pelzmütze, bahnt sie sich ihren Weg durch das Publikum, um dann leicht schwankend und mit rollenden Augen auf dieses herabzublicken. Zu den gehauchten Klängen von James Bonds „You only live twice“ fallen Mütze und Mantel, und plötzlich räkelt sich auf der Bühne eine lockende und grimassierende Schönheit in silber-fließendem Abendkleid. Für den Roten Salon ist die Sängerin eine Erfüllung.

„Auf der Bühne stehen ist eine Art von Erotik“, erzählt Cora Frost. Auf dieses Gefühl möchte sie vor allem in Berlin nicht verzichten, denn „Berlin tötet jede Erotik ab“. Auf den Plätzen der Stadt könne man „demonstrieren, sich verbrennen oder jemanden erschießen“, aber kaum zärtlich-verstohlene Küsse austauschen. Seit Anfang des Jahres lebt sie in Berlin. München verließ sie, weil das Publikum dort ihre Art von Show nicht verstand und in ihr etwas „Monsterhaftes“ sah.

Als Diseuse oder Chansonette wird die Frost bezeichnet. Das hört sich schön an, und wahrscheinlich vermuteten die MünchnerInnen, daß bei ihren Shows zarte Liedchen geträllert würden. Statt dessen übersetzt sie mit ihrer Stimme auch noch die erschröcklichsten Facetten menschlicher Liebesbeziehungen, und da kommt es schon mal zu gruseligem Gesusel und allerlei Geschrei und Gestöhn.

Daß das Berliner Publikum erotikfeindlich sei, kann man indes nicht behaupten. Augenblicklich hat es Cora Frost zu einem Szene- Star gekürt; sie tritt in der Bar jeder Vernunft auf, in der Volksbühne oder jetzt in der neu eröffneten Treptower Arena. In Berlin kann sie zum ersten Mal von ihrer Kunst leben. Richtig wohl fühlt sie sich hier trotzdem nicht. Frost beschreibt Berlin als „untergegangen“, als „Schiffswrack“, in dem die Menschen angeschlagen und ziellos „herumschwimmen“.

Mystisch und entschlossen zugleich wirkt die Frost auf der Bühne, und genau so wirkt sie auch als Bürgerin in Zivil. Zwar verblaßt am Tage die divenhafte Aura, doch wie in ihren Liedern haben auch ihre Geschichten über persönliche Erlebnisse etwas Versponnenes. Tanzen ist für sie zunächst einmal „Trieb“: „Als Kind wollte ich mich zerreißen. Ich wollte nur tanzen – für Häuser, für Blumen, für alles.“ Im Alter von vierzehn Jahren verließ sie ihr Zuhause in einer Münchner Vorstadtsiedlung und schlug sich mit unterschiedlichen Jobs durch. Mit Nachtwachen und Nachilfeunterricht finanzierte sie ihre Tanzstunden.

Später tourte Cora Frost als Stripteasetänzerin durch Münchner Bars, stieß beim klassischen Clubbesucher aber auf wenig Gegenliebe. Zu absurd waren ihre Nummern für den voyeuristisch- männlichen Durchschnittsgeschmack: Als „trauernde Witwe“ kam es zwar zum ersehnten Fall der Hüllen, doch diese wurden Stück für Stück fein säuberlich gefaltet und auf ein Bett gelegt. Heute gibt es auf der Bühne zwar noch den einen oder anderen lasziven Hüftschwung, doch die Sinnlichkeit der Frost wird durch Gesang, Bewegung und nicht zuletzt durch ihre selbstgeschriebenen Texte vermittelt. Diese handeln natürlich von der Liebe: von der leidenschaftlichen Liebe und freundschaftlichen Liebe, von der Liebe zwischen Mann und Frau und von der Liebe zwischen Frau und Frau. Der Hang zum Absurden verhindert dabei das Abrutschen in den Kitsch.

Ihr Lied „Dicke Marie“ etwa bezeichnet Cora Frost als eine „Ode an die lesbische Liebe“: „Dicke Marie, du ziehst vorüber, deine Schenkel riechen nach Flieder, deine Schuhe nach Erdal.“ In „Oh wehe Schneewehe“ wird das heterosexuelle Pendant dazu besungen: „Wir liegen begraben, verschlungen die Hände – antarktisches Petting war unser Ende.“ Die Lieder lassen sich nicht eindeutig einem Milieu zuordnen, was sofort gruppenspezifische SittenwächterInnen auf den Plan ruft. In Karlsruhe beispielsweise verließ eine Gruppe von Lesben den Veranstaltungsort, weil sie das Lied über die Pubertätsrituale italienischer Jugendlicher auf einer Piazza als Zumutung empfanden und sich nicht länger anhören wollten, „wie Heteras balzen“. Mittlerweile tritt Cora Frost auf keinem Frauen- und Lesbenfestival mehr auf, zumal ihr Komponist und Pianist nun mal männlichen Geschlechts ist. „Ich lasse mir von niemandem vorschreiben, wie lesbisch ich zu sein habe“, sagt sie. Zum Glück!

Am 5.7., 21 Uhr, zeigt Cora Frost ihren „Starimbiß“ in der Arena, Eichenstraße 4, Treptow.