Österreichs Sicherheitsbehörden treten bei der Suche nach den Briefbombenattentätern auf der Stelle. Vier Todesopfer und elf Verletzte in Österreich und Deutschland gab es bislang. Experten streiten sich um das richtige Täterprofil. Von Paul Harbrecht

Keine heiße Spur zu den „Bajuwaren“

„Freuen Sie sich nicht zu früh auf den ersten Fahndungsvolltreffer. Wenn Sie einen von uns zu fassen kriegen, können Sie ruhig im Kreis der Verwandten, Kollegen und Nachbarn recherchieren: Sie alle sind ahnungslos.“ Frech setzt die „Bajuwarische Befreiungsarmee-Salzburger Eidgenossenschaft“ (BBA) in einem 28seitigen Schreiben auf ihre wasserdichte Struktur, an der die Sicherheitsbehörden nach wie vor scheitern. In dem Brief bekennt sich die mysteriöse Gruppe zu den Brief- und Rohrbombenserien, die seit Dezember 1993 Österreich und seit den Detonationen in Lübeck und München im Frühjahr 95 auch Deutschland erschüttern. Vier Todesopfer und elf Verletzte lautet bislang die Bilanz der BBA.

Die anonymen Autoren glänzen in ihren fünf Bekennerbriefen nicht nur mit Details über die Bombenkonstruktionen, sondern machen sich auch über die Wiener Staatspolizei (Stapo) und deren Ermittlungstrupps lustig. Die hatten geglaubt, mit den im Dezember 1993 festgenommenen Rechtsextremisten Peter Binder und Franz Radl einen „Volltreffer“ gelandet zu haben. Doch seitdem bombt die BBA mit ihren Kommandos „Graf Starhemberg“, „Andreas Hofer von Tirol“ und „Herzog Oadilo von Bayern“ in immer kürzeren Abständen und schreibt auch offen, um was es ihr geht: nicht nur darum, Österreich vor Fremdeinwanderung und einer „Tschuschen-Diktatur“ zu bewahren, sondern Radl und Binder zu entlasten. „Wir vermuten, daß die inhaftierten Verdächtigen Radl und Binder nicht einmal von der Existenz einer BBA wissen“, schreiben sie.

Bislang gingen bei den österreichischen Sicherheitsbehörden über 10.000 Hinweise ein – eine heiße Spur war nicht darunter. Zu allem Unglück streiten sich nun die Experten über das Täterprofil, das aus den Veröffentlichungen der BBA-Aktivisten zu folgern sei. Im Wiener Innenministerium unter Caspar Einem geht man inzwischen nicht mehr davon aus, daß sich an der logistischen Spitze der BBA österreichische Neonazis tummeln. Man vermutet, daß die Täter im Alter von „vermutlich über 50 Jahren“ aus Kärnten stammen und in kleinen Gruppen organisiert seien. Einem sieht in den Tätern „nationale Fundamentalisten besonderer Art, die sehr spezifisch Österreich-orientiert sind“. Sie hätten „mit dem klassischen Rechtsradikalismus – bis auf einige Berührungspunkte mit der Neonazi-Szene – wenig zu tun“.

Der Innenminister untermauert seine These damit, daß die Attentäter nicht Österreich als Teil eines Großdeutschlands wollten, sondern ein „Stammland der Bajuwaren“. Nahezu wortgenau haben die Autoren ihre historischen Ergüsse aus Publikationen eines Klagenfurter Universitätsprofessors abgeschrieben, der sich mit den „Bajuwaren“ intensiv befaßt. Nach den Erkenntnissen des Innenministeriums kommen Neonazis allenthalben als Sympathisanten, ohne Zugang zum Gruppenkern, in Frage.

„Das ist klassischer Rechtsextremismus“

Dem widerspricht Wolfgang Neugebauer, Leiter des Wiener Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands (DÖW), vehement (siehe Interview auf dieser Seite). „Das ist klassischer Rechtsextremismus“, lautet seine Interpretation der Bekennerschreiben. Der oder die Autoren seien aufgrund der sprachlichen und logischen Qualität rechts- und geschichtskundige sowie technisch versierte Akademiker, die in ein „politisch-gesellschaftliches Milieu“ eingebettet seien. Ein solches Milieu vermutet Neugebauer im Umfeld der Burschenschaften und der Zeitschrift AULA. Dieses den „Freiheitlichen“ (F) von Jörg Haider nahestehende Monatsmagazin repräsentiere ein „breites Spektrum des Deutschnationalismus vom Neonazismus bis zu demokratischen Positionen“.

Für Neugebauer reiht sich das von Innenminister Einem entwickelte Täterprofil in die vielen Pannen und Fehler ein, die den Ermittlungsbehörden seit Beginn der Attentate unterliefen. „Die Polizei befindet sich da völlig auf dem Holzweg“, ist er sich sicher.

Gerade angesichts der Fehler in der Vergangenheit hatte Bundeskanzler Franz Vranitzky den liberalen SPÖ-Mann Einem im November 94 als Innenminister ins Kabinett geholt. Einem versprach, „mit den Mißständen aufzuräumen“. Zum Beispiel mit rechtsradikalen Seilschaften in der Polizei wie der Wiener Alarmabteilung „Wega“ oder einer „Notgemeinschaft der Sicherheitswachtbeamten“ (NS), die „für die Sicherheit der Umvolkungspolitiker“ nicht garantieren wolle. Jetzt sitzt Einem in der Zwickmühle. Eine grundlegende Reform der Stapo braucht Zeit, doch die drängt. Die BBA macht sich lustig über die Stapo. Ihre Bekennerschreiben verraten derartiges Insiderwissen über einzelne, in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Ermittler, daß der Wiener Rechtsanwalt von Franz Radl, der als Urheber der ersten Bombenserie beschuldigt wird, glaubt, daß der Verfasser „ein frustrierter Stapo-Beamter“ sein müsse. Mit einer am Freitag gebildeten Expertenkommission aus Wissenschaft, Landesverteidigung und Justiz will Einem die BBA-Aktivisten einkreisen.

Sitzen die Richtigen auf der Anklagebank?

Die hatten schon kurz nach der ersten Bombenserie in einem Brief an den Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Michael Sika, keinen Zweifel an ihren Zielen gelassen: die Bomben seien „der Auftakt zu einem unerläßlichen Maßnahmenpaket an Sie alle, die in der Frage der Fremden- und Flüchtlingsprobleme mit zu lockerer Hand engagiert sind und die eigene Kultur einer Überfremdung ausliefern“.

Für diese ersten zehn Briefbomben machen die Justizbehörden Peter Binder (28) und Franz Radl (28) verantwortlich. Im September stehen die beiden Aktivisten der „Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition“ (VAPO) zusammen mit Alexander Wolfert (31) vor Gericht – wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung und zehnfachen Mordversuchs. Die Staatsanwaltschaft hat sich Mühe gegeben, knapp 300 Seiten umfaßt die Anklageschrift. Doch angesichts der neuerlichen Attentate wachsen die Zweifel, ob die Richtigen auf der Anklagebank sitzen. Innenminister Einem glaubt inzwischen, daß Radl und Binder „nicht im engeren Sinne“ zur BBA dazugehören. Vorsichtig formuliert er: „Ich schließe aber nicht aus, daß sie so intensive Kontakte und Verabredungen mit dieser Gruppe hatten, daß eine Anklage gerechtfertigt ist.“

Für DÖW-Chef Neugebauer ist das keine Frage. „Die beiden sind zentrale Figuren der neonazistischen Szene, sie haben Sprengstoff und Bomben gehortet, das müßte schon für eine Verurteilung wegen NS-Wiederbetätigung ausreichen.“ Seiner Meinung nach ist Radl eine „zentrale Figur mit unzähligen Verbindungen zu Militanten, zu schlagenden Verbindungen, zur „F“ , zu Rechtsextremisten im Ausland und zur „NSDAP/ AO“. Da sei „auf alle Fälle die Möglichkeit gegeben, daß er mit dem Hintergrund in Verbindung steht“. Das müßten dann die Geschworenen beurteilen.

Die Beweislage der Staatsanwaltschaft für die NS-Wiederbetätigung von Binder, Radl und Wolfert ist in der Tat erdrückend. Akribisch listen sie deren Teilnahme an VAPO-Stammtischen und -Kadertreffen auf, bei den Rudolf-Heß-Gedenkmärschen in Bayreuth und Rudolstadt, bei Wehrsportübungen in Langenlois sowie revisionistischen Treffen in München und Roding. Darüber hinaus die engen Kontakte zu den Berliner Neonazis wie Arnulf Priem und Bendix Wendt und den gemeinsamen Exkursionen in das Berliner Umland, um nach alten Kriegswaffen zu graben.

Was die Briefbomben anbelangt, muß die Anklagebehörde einen schwierigen Indizienprozeß führen. So fand man bei Hausdurchsuchungen bei Radl und Binder zahlreiche Waffen, kiloweise Sprengstoffe, diverse Anleitungen und Zeichnungen zum Bau von Bomben. Binder hat zudem mit der Herstellung von Nitroglycerin experimentiert und sich nach Materialien zum Bau von Bomben erkundigt, Radl hat sich gegenüber Mithäftlingen lobend über Graf Starhemberg geäußert. Einen direkten Beweis für ihre Urheberschaft gibt es jedoch bislang nicht.