■ Entscheidung für das zentrale Holocaust-Mahnmal
: Das nationale Unbewußte

Mittwoch wird amtlich, was die Spatzen längst von den Dächern pfeifen. Als „Denkmal für die ermordeten Juden“ wird der Entwurf der Berliner Architekten- und Künstlergruppe um Christine Jacob-Marks gebaut, eine 100 mal 100 Meter große begehbare Steinplatte, die schräg aus dem Boden wächst. Auf dieser Fläche sollen im Laufe der Zeit die Namen der sechs Millionen Ermordeten eingeritzt werden. Für jede Gravur, so jedenfalls waren bislang die Planungen, ist ein fester Obolus zu entrichten – Ignatz Bubis' Vergleich mit dem christlichen Ablaßhandel drängt sich da in der Tat auf. Geplant ist weiterhin, analog zur jüdischen Tradition, kleine Steine auf Grabplatten zu legen, 18 gebrochene Steine aus Masada zu importieren, die in drei bis vier Meter Höhe auf der Grabplatte plaziert werden.

Eine trümmerschwere Grabplatte im Zentrum der Stadt – wer nur einen Augenblick, womöglich an der federleichten Umhüllung des Reichtstags vorbeiflanierend, darüber nachdenkt, stößt auf seltsamste Querverbindungen, von denen wohl nur die wenigsten bewußte Intention sind. Vieles ist einfach quergeschossen, quer hoch aus dem nationalen Unbewußten, in dessen Haus man eben nie ganz Herr sein kann.

Das Zentralmassiv des Gedenkens wird über den Bunkern von Hitlers Leibstandarte und den Verbindungsstollen zum Führerbunker liegen – was ein wenig an Splatterfilme erinnert, in denen die Nachgeborenen rührend naiv versuchen, die Rückkehr der Untoten durch Schränke zu verhindern, die vor die Tür geschoben werden. Wo kein Gras mehr wächst, kann auch kein Böses mehr sein Medusenhaupt recken.

Und dann Masada: Nicht genug damit, daß unklar ist, wieso ein jüdisches Trauerritual bemüht und aufs bombastischste vergrößert werden muß. Die Steine müssen auch noch von dem Ort eines jüdischen Massenselbstmords stammen, auf dem Israel sich alljährlich in soldatischen Prozessionen seiner Raison d'être versichert. Die zionistische Pointe mag man an amerikanischen Holocaust-Museen kritisieren – für ein zentrales Mahnmal in Berlin, Deutschland, ist sie unpassend bis obszön. Es gibt nur einen Selbstmord, an den man an diesem Punkt der Topographie „naturwüchsig“ denkt, und der fand einige Meter unterhalb der Platte im nahe gelegegen Führerbunker statt.

So gewinnt man den Eindruck, die Massivität des Materials stehe in umgekehrt proportionalem Verhältnis zur inneren Kohärenz. Gerade wo jede Ambivalenz im Keim erschlagen werden soll, bricht sie sich Bahn, gerade wo der Besucher von der Erhabenheit der an C. D. Friedrichs Eismeer erinnernden schwarzen Platte eingeschüchtert werden sollen, wird sich Abwehr, Frivolität und schließlich Ignoranz breitmachen. Mariam Niroumand