„Ein netter Jahrmarkt, bunt und schrill“

■ Lesbisch-Schwules Stadtfest am Nollendorfplatz fand regen Anklang / Die beteiligten Gruppen halten die Verbindung von Kommerz und Informationen für richtig und wichtig

Wer am Wochenende zum beschaulichen Flanieren gekommen war, hatte keine Chance. Rund um den Nollendorfplatz herrschte das Diktat der Masse. Die Bier-, Sekt-, Bratwurst-, Gyros- und Frühlingsrollenverkäufer konnten über mangelnden Umsatz nicht klagen. Dagegen wirkte die Podiumsdiskussion mit ParteienpolitikerInnen wie ein Relikt aus den Siebzigern, dem nur die hartgesottensten Politfreaks etwas abgewinnen konnten.

Alles, was zu einem Straßenfest dazugehört, war vertreten: Jucca- Palmen wurden im Dutzend angeboten, für fünfzig Mark konnte man einen Tischspringbrunnen aus Plastik erstehen, Sonnenbrillen- und Schmuckverkäufer schienen aus der gesamten Republik angereist zu sein. Der Kommerz kannte selbst bei der Notdurft keine Grenzen: In Tom's Bar wurden sogar fürs Pinkeln 50 Pfennig verlangt.

Mit 200.000 Besuchern hatten die Veranstalter des „3. Lesbisch- Schwulen Stadtfestes“ vorab gerechnet. Mit dieser Schätzung griffen sie offenbar nicht zu hoch. „Es ist ein noch größerer Erfolg als im letzten Jahr“, meinte Martin, der am Infotisch vom Schwulenverband Deutschland für die Homoehe warb. „Vorhin waren sogar ein paar Fußballfans da, die sich Infomaterial geholt haben. Damit hätte ich nicht gerechnet. Gerade bei denen hat man ja so seine Vorurteile“, stellte er fest.

Auch die Berliner Aids-Hilfe (BAH) war voll und ganz zufrieden über das rege Interesse der Besucher. „Es ist ganz wichtig, Konsum und Informationen miteinander zu verbinden. Die Gruppen müssen natürlich aktiv auf die Leute zugehen. Nur rumstehen und abwarten bringt nichts“, wiegelte BAH-Pressesprecher Boris Vetter die Kritik am angeblichen Konsumcharakter des Festes ab.

In orange-blauen T-Shirts, Plastikröcken und blauen Sonnenbrillen stürzte sich die BAH-Präventionsgruppe ins Gewühl, knöpfte sich die Schüchternsten vor und drehte ihnen nebenbei Lose an. Dabei konnte auf dem von Schwulengruppen dominierten Fest schon mal ein Fauxpas passieren. So, als Stephanie einer Lesbe den Gewinn von 25 Kondomen anpreisen will. „Sorry, die brauch' ich nun wirklich nicht“, erklärt ihr Ingrid.

Politisch korrekt oder nicht, den BesucherInnen gefiel's. „Schön bunt und schrill. Ein netter Jahrmarkt, wo es viel zu sehen gibt“ fand Christoph. „Besser als die Demo, wo man nur kilometerlang mitlatscht“ verteidigte sein Freund Hartmut den Konsumrausch gegen die asketischen Dauernörgler von links. Einer Hellersdorferin, die stundenlang an einem Holsten- Stand saß, gefiel die Lockerheit, mit der die Schwulen auf dem Fest rumliefen. „Nur schade, daß es so etwas nicht bei uns im Bezirk gibt. Das ist ja die reinste Schlafzone dort“, stellte sie etwas bedauernd fest.

Einigen Heteropaaren sah man die Verunsicherung an, fast alle gaben sich aber geflissentlich tolerant. „Na ja, ist doch schon in Ordnung, wenn die Homosexuellen so ein Fest machen“, war ein Standardspruch. Einzig einem angereisten Gladbach-Fan war die Ansammlung knutschender Männer und Frauen offenbar suspekt, und er polterte los: „Mich stößt das ab. Ich bin mit meinen Kumpels mitgegangen. Wir wollen gleich ins Stadion.“ Nur zweierlei gefiel ihm an dem Fest: „Bier und Bratwurst“. Gesa Schulz