Schwarzweißmalerei

■ betr.: „Germans to the Front“ (Grünes Positionspapier zur Inter ventionsdebatte), taz vom 16. 6. 95

[...] Nichtmilitärische Verteidigungskonzepte waren während des atomaren Wettrüstens in Ost und West tatsächlich eine Zeitlang die einzige theoretische Chance für das Überleben im Ernstfall. Wie kann man aber die Augen davor verschließen, daß sich die Lage heute anders darstellt?

Lokale Kriegstreiber, die nicht länger an der kurzen Leine eines Militärpaktes liegen, brechen immer neue Aggressionen vom Zaun. Die bisherigen Antworten der UNO und der zur Hilfe berufenen Demokratien konnten sie nur unzureichend stoppen beziehungsweise drohen jetzt im Fall Ex-Jugoslawiens dazu beizutragen, daß die UNO vollends der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Es ist nur die halbe Wahrheit, wenn Kerstin Müller und Jürgen Trittin versichern: „Aber sie versorgte dabei über eine Million Menschen mit dem Allernötigsten zum Überleben.“ Wie oft sind zum Beispiel UN-Hilfstransporte an Belagerungsringen steckengeblieben, konnten Massaker nicht unterbunden werden, weil die Helfer wehrlos waren!

Es ist richtig, daß auch begrenzte militärische Aktionen leicht eskalieren können. Deswegen ist es meines Erachtens geboten neben der überfälligen Entwicklung eines politischen Konzeptes auch die Ziele einzelner militärischer Aktionen exakt festzuschreiben. Es erscheint mir dabei nicht realistisch, daß etwa auf den Entsatz einer belagerten Stadt oder das Stoppen von „ethnischen Säuberungen“ in einer bestimmten Region folgendes von Müller und Trittin an die Wand gemaltes Eskalationsszenario zutreffen würde: „Friedenserzwingung gegen den Willen einer oder mehrerer Kriegsparteien und unter dem Gebot der Minimierung der eigenen Verluste würde eine Massivität militärischer Gewalt voraussetzen, die die Zahl der Opfer sprunghaft wachsen ließe.“ Vor dem Hintergrund, daß bis jetzt oft schon ein kleiner Trupp vagabundierender Aggressoren ausgereicht hat, um Helfer wochenlang mattzusetzen, halte ich die Modellprämisse „Massivität militärischer Gewalt“ für reichlich übertrieben. Vermutlich würde da schon vielfach die einfache Demonstration zur Selbstbehauptung durch die UN- Kräfte ausreichen. Die Reserven der lokalen Kriegsfürsten sind schließlich nicht unerschöpflich.

Ich bin mit K. M. und J. T. davon überzeugt, daß es hierzulande immer noch genügend Kräfte gibt, die nur darauf warten, eigene Interessen weltweit nicht nur mit dem „Scheckbuch“, sondern auch mit dem „Einsatz von Leib und Leben“ durchzusetzen. Die dazu angepeilte Militarisierung der deutschen Außenpolitik ist jedoch nicht durch Schwarzweißmalerei zu verhindern, sondern durch praktisches Eingreifen bei der Formulierung und Durchsetzung der nächsten Aufgaben der UN- Kräfte. Dazu gehört auch, daß man nicht mithilft ihren militärischen Arm zu amputieren – das wäre in meinen Augen nur Wasser auf die Mühlen aller nationalistisch ambitionierten Kräfte –, sondern dazu beiträgt, daß er zukünftig möglichst demokratisch kontrolliert wird. Auch ein deutsches Streitkräftekontingent bei den UN-Verbänden wird man heute letztlich nur an der Umsetzung dieser Aufgabe messen können. Kristian Kossack, Minden

[...] Durch ihr einfaches Strickmuster verkennen Kerstin Müller und Jürgen Trittin die neuen Strukturen und Probleme der internationalen Beziehungen.

Nach dem Ende der globalen Bipolarität droht eine gefährliche Nationalisierung der Außenpolitik, die von Bündnis 90/Die Grünen immer abgelehnt worden ist. Die UNO gibt zur Zeit trotz aller Unzulänglichkeiten Strukturen transnationaler Politik vor und ist Ansatzpunkt für Modelle kollektiver Sicherheit in der Zukunft. Zu den internationalen Strukturen der Gegenwart gehören auch militärische Optionen der transnationalen wie nationalen Akteure.

Sich von diesen Strukturen auszuschließen, heißt politisch, sich von der Welt zu verabschieden. Es bedeutet aber praktisch auch, den Kräften in den gegenwärtigen internationalen Konflikten, die den Krieg als Element der Politik benutzen, einen „Blankoscheck“ zu geben. [...]

Zu der von den Grünen immer geforderten Internationalisierung der Außenpolitik gehört auch eine Internationalisierung der Verantwortung. Die Grünen können sich diesem Junktim nicht entziehen.

Bündnis 90/Die Grünen haben die wichtige Aufgabe, in den globalen Veränderungsprozessen internationaler Politik zivile Alternativen zu militärischen Optionen in den jeweiligen Konflikten zu entwickeln. Eine potentielle militärische Intervention zur Durchsetzung ziviler Ziele im Rahmen internationaler Kontrolle bedeutet keine Militarisierung der Außenpolitik. Aber: Transnationale Strukturen und ihre Demokratisierung vereiteln nationale Großmachtträume. Atomare wie nichtatomare Abrüstung, Verbot des Rüstungsexports, um nur zwei wichtige Ziele grüner Außenpolitik zu nennen, sind Felder der internationalen Politik.

[...] Globalen Frieden auf dem Papier zu fordern, aber in der Realität ein nationales Nein zu praktizieren, ist kein Pazifismus. Pazifismus setzt die weltweite Zivilisierung gesellschaftlicher Verhältnisse voraus. Globale Zivilität bedeutet die weltweite Durchsetzung individueller und sozialer Grundrechte, die ohne Veränderungen der Welthandelsstrukturen im globalen Nord-Süd-Konflikt, ohne die Ökologisierung der Weltwirtschaft, ohne soziale und politische Reformen in den meisten Ländern der Welt nicht zu haben sein wird. [...] Friedhlem Horn,

Vorstandssprecher Kreisver-

band Rotenburg/W. Bündnis 90/

Die Grünen, Rüspel