Wunderbare Dinge des Erlebens

■ Saubere, aber unbemerkte E-Soli: Joan Armatrading sang ein Repertoire aus zwei Jahrzehnten im Berliner Metropol

Eine ekelhafte Masche, die Leute nach der Zugabe mit Musik vom Band aus der Halle zu treiben. Gerade bei Armatrading fällt mir ein, daß das vor zehn oder fünfzehn Jahren eben nicht so war – nie – und die junge Sängerin kam solange wieder, wie wir nach ihr schrien.

Ende der Siebziger kostete so ein Konzert 20 Mark und etwa so alt waren auch die Leute, die kamen. Die Parallele ist geblieben, Eintritt und Alter gegen vierzig. Übertrieben? Na gut. Aber Fünfzehnjährige sieht man nicht, im Berliner Metropol, Mittsommernacht: Die schwärmen jetzt für Tracy Chapman, die sich von Armatrading einiges geliehen hat, die Sprödigkeit vor allem, und die schwarze Kehle auf dem Saitengrund eines Songwritings, das nicht vom Blues her kommt.

Joan Armatrading baut ihr Konzert wie alle, die zwei Jahrzehnte Repertoire mitbringen: im ersten Drittel wird mit bekanntem und marginalem Stoff, in der Chronologie springend, die Identität der Gruppe her- oder vorgestellt. Dann kommt ein Set von Songs vom jüngsten Album. Im letzten Drittel, quasi zum Trost, die Greatest Hits. Und die stammen von ihren ersten sechs Alben auf dem A&M-Label, das sechste „Me Myself I“ von 1980, und das erklärt eben das Alter des Publikums. Irgendwie wurde ich den Verdacht nicht los, daß die Paare sich bei diesem Konzert gemeinsam an wunderbare Dinge erinnerten, die sie gar nicht miteinander erlebt hatten. Ist doch schon arg lange her.

Das kammermusikalische Set, mit zwei Streicherinnen und einem auf voluminös getunten (E-)Klavier, Joan Armatrading nur singend, war eine glückliche Zäsur und wollte sagen, daß die „Unplugged“-Geschichte an ihr nicht spurlos vorbeigegangen ist. Ihre Karriere bezieht sich durchweg auf die Gratwanderung zwischen Folk und Pop, Spiritualität und Maschine. Wie immer ist der Wechsel des Modus das Schönste, und so war „Drop The Pilot“ als Wiedereinstieg in Beat und Funk vielleicht der Abräumer des Abends, obwohl der Song mager bleibt, irgendwie heruntergedroschen. „Tall In The Saddle“, gleich danach, hatte dann schon wieder den für sie typischen Schnell-langsam- Bruch. Die fünf Herren an den vorhersagbaren Instrumenten waren gut im Tempo, aber in den Übergängen zeigen sich immer wieder Schwächen in den Arrangements, die nicht eigentlich rhythmische oder harmonische sind, sondern dazwischen, im Sound. Joan Armatrading versteht viel von Musik aber nichts von Krach.

Was den Vokalvortrag betrifft, ist sie nicht zu Experimenten geneigt: Die Songs haben die gleichen Akzente, Verzögerungen und Höhepunkte wie damals. Gern würde man mal eine neue Zeile hören (wie Simon sie manchmal zwischenschiebt). Der karibische Charme ist abgeschliffen, das verlegen Mädchenhafte ist dahin. Die Sprünge in die hohe Tonlage kommen nicht mehr so gläsern und klar. Aber gerade in der Weise, wie sie pragmatischer und resoluter geworden ist, kann sie zeigen, daß ihr dieses Material, was sie präsentiert, wirklich gehört. In der gemeinsamen Seligkeit, die aufkommt, bleibt kein böser Rest: So wie sie da ist, ist sie auch, eine kernige Sachwalterin ihres musikalischen Vermögens, allein schlecht beraten, was Garderobe und Frisur betrifft.

Schwer zu sagen, wo sie hingehört auf der Karte der Musik der Autoren. Einmal, in einer betulichen Passage, fiel mir ein, daß es mal eine Band namens „Ougenweide“ gab. Im nächsten Moment dachte ich an ein Weihnachtslied mit Geklimper in der Fassung Bing Crosbys.

Als Gitarristin macht Armatrading noch immer eine gute Figur, selbst die Sechssaitige klingt, als hätte sie zwölf. Saubere E-Soli legt sie hin, zwanzigsekündig, fast unbemerkt. Eine wunderbare rote Halbakustische hat sie. Ich stelle mir vor, wie sie in einer Londoner Nacht in ihre große Garage geht, wo die Oldtimer stehen, und das rote Dingens auf den weißen Lederrücksitz eines giftgrünen Chevy Convertible legt, nachdem sie geübt hat. Denn das tut sie gewiß. Ulf Erdmann Ziegler