■ Zum sudetendeutschen Pfingsttreffen in München
: Der böhmische Knoten

Die bundesdeutsche Öffentlichkeit mag sich immer wieder darüber wundern, welche Aufmerksamkeit den Sudetendeutschen Tagen in der Tschechischen Republik gewidmet wird. Beschränken sich die meisten deutschen Tageszeitungen, mit Ausnahme der Vertriebenenpresse, auf eine eher kurzgefaßte Nachricht, so bringt die tschechische Presse über die sudetendeutschen Pfingsttreffen ausführliche Berichte und – meistens irritierte – Kommentare. Woran die tschechische Öffentlichkeit vor allem Anstoß nimmt, ist der offizielle Charakter, der den Treffen durch die Präsenz der Vertreter der Bundesregierungen verliehen wird. Wie ist dieser Flankenschutz, den die Bundesregierung bisher den Forderungen der Sudetendeutschen Landsmannschaft gewährt, zu erklären? Wie ist die Hinhaltetaktik, die sich vor allem im Junktim zwischen der Entschädigung der tschechischen Opfer des Nationalsozialismus und der Entschädigung der vertriebenen Sudetendeutschen zeigt, mit der übrigen deutschen Außenpolitik zu vereinbaren? Vor allem für die Angehörigen der älteren Generationen ist sofort der Verdacht da, daß sich hinter der unklaren Politik den Vertriebenen gegenüber letztlich doch der alte deutsche Hegemonialanspruch über Mittelosteuropa verbirgt.

Jedenfalls, das Wort Pangermanismus habe ich nicht in Deutschland, sondern neulich in Prag gehört. Natürlich wissen die Tschechen, daß das heutige Deutschland ein demokratisches, fest im Westen verankertes Staatswesen ist. Trotzdem, daran glauben und darauf vertrauen werden sie erst dann können, wenn sich die Bundesregierung von dem Junktim der beiden Forderungen distanziert. Bis dahin wird der Bauch, in dem die alten, auf historische Erfahrung sich stützenden Ängste vor der deutschen Übermacht rumoren, immer dem versöhnungsbereiten Verstand einen Strich durch die Rechnung machen.

Verdächtig wird für die Tschechen das Zögern der Bundesregierung auch vor dem Hintergrund der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Warum kann die Bundesregierung die Sudetendeutsche Landsmannschaft nicht zum Verzicht auf ihre Forderungen bewegen, wenn sie der Schlesischen in der Grenzfrage ein viel größeres „Opfer“ abverlangte? Mag für die Bundesregierung das sudetendeutsche Problem, im Unterschied zu der Frage der Ostgrenze, ein Randproblem sein – sicherlich ist ihre Position durch keine Hegemoniegelüste, sondern durch die Rücksicht auf den rechten Rand der CDU/CSU-Wählerschaft diktiert – für die tschechische Öffentlichkeit ist es ein zentrales Problem der deutsch-tschechischen Beziehungen. An der Einstellung zur sudetendeutschen Frage wird für sie die demokratische Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik gemessen. Das sollte die Bundesregierung endlich begreifen. Sie sollte auch begreifen, daß man mit dem Beharren auf rechtlichen Kategorien, besonders dem den Deutschen so lieben Wort Unrecht, weniger bewirkt als mit Einfühlungsvermögen in die Erfahrungen des anderen und mit Gesten des guten Willens. Dieser Einsicht folgend, hat Roman Herzog bei seinem Besuch in Prag und mit der Kranzniederlegung in der Kleinen Festung Terezin vielleicht mehr bewirkt als die Bundesregierung in den letzten zwei Jahren.

Auch für die deutsche demokratische Öffentlichkeit wäre es keineswegs schwer nachzuvollziehen, warum sich die Tschechen mit der Sudetendeutschen Landsmannschaft, die man allerdings nicht mit der Masse der Sudetendeutschen verwechseln sollte, so schwer tun. Denn in der Tat stellt in der heutigen politischen Landschaft der Bundesrepublik die Landsmannschaft mit ihren politischen Ansichten und Positionen eine Art Relikt des Kalten Krieges dar. Die Ost-West-Nachkriegspolarisierung ermöglichte dem rechtskonservativ orientierten Teil der Sudetendeutschen, der letztlich die Landsmannschaft dominierte, die traditionellen Ressentiments gegen die Tschechen, die den Deutschen Böhmen „wegnahmen“, mit dem Antikommunismus zu vermengen – und dadurch zu legitimieren. Nicht Hitler, die „Tschechokommunisten“ wurden in dieser Interpretation an dem ganzen sudetendeutschen Elend, dem Verlust der Heimat, der Vertreibung, schuld. Bei der bestehenden politischen Konstellation konnte auch mehr als 40 Jahre lang die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und der Rolle im Vorfeld des Münchner Abkommens ausbleiben. Statt dessen wurde die Eingliederung des Sudentenlandes in die nach 1918 gegründete Tschechoslowakei als Zwangsmaßnahme, als geographische wie historische Fiktion gesehen und das Münchner Abkommen von 1938 als ein Akt bewertet, der dieses Unrecht wieder aus der Welt schuf.

Auf dieser Position verharrt die Sudetendeutsche Landsmannschaft im wesentlichen bis heute. Die Tschechen, obgleich erst am Anfang der Verarbeitung ihrer Geschichte, sind in diesem Punkt doch ein Stückchen weiter. Denn sie sind heute schon imstande, das Ende des Zusammenlebens von Deutschen, Juden und Tschechen in Böhmen zu bedauern. Der harte Kern der Landsmannschaft hingegen trauert immer noch vor allem der deutschen Präsenz in Böhmen nach. Die anderen Kräfte, die es in der Landsmannschaft auch gibt, wie zum Beispiel die Ackermann- Gemeinde oder der Adalbert-Stifter-Verein, die in den letzten Jahren viel für die deutsch-tschechische Verständigung getan hatten, waren bisher nicht imstande, sich gegen die konservative Altherrenriege mit ihren Positionen durchzusetzen.

Wenn nun jetzt doch Bewegung in die (sudeten)deutsch-tschechische Blockade kommt, dann kommt sie von außen. Neu daran ist, daß die Grünen, eine „linke“ Partei also, ihre traditionelle Abstinenz diesem Fragenkomplex gegenüber aufgegeben hat und im März eine Bundestagsdebatte initiierte. Wie verdienstvoll diese Initiative auch war, zeigte sich nicht zuletzt daran, wie mangelhaft die historischen Kenntnisse bei den Bundestagsabgeordneten sind. So wird zum Beispiel immer noch nicht verstanden, daß das traumatische Erlebnis der modernen tschechischen Geschichte nicht der Einmarsch der Einheiten der Wehrmacht am 15. März 1939 ist, sondern die Zerschlagung der ersten Tschechoslowakischen Republik durch das Münchner Abkommen, an dessen Zustandekommen sich die Sudetendeutschen durch ihre „Heim-ins-Reich-Bewegung“ mitschuldig machten. In diesem Trauma liegt auch der eigentliche Grund der späteren Vertreibung, durch die die erneuerte Tschechoslowakei in ihren Grenzen gesichert werden sollte. Wer die deutsch- tschechischen Beziehungen voranbringen will, muß dies verstehen oder wenigstens respektieren. Alena Wagnerová

lebt als freie Autorin in Saarbrücken