Alle wußten vom Plutonium im Passagierflugzeug

■ Bayerisches LKA informierte vor dem Transport von Atombombenmaterial zahlreiche Ministerien und Behörden / BND spielt weiter Hase

Berlin (dpa/rtr/AP/taz) – Alle relevanten Behörden wußten Bescheid, als am 10. August 1994 drei Männer mit Plutonium im Koffer die Gangway zu einer Lufthansamaschine in Moskau hinaufmarschierten. Das berichtet die Leipziger Volkszeitung unter Berufung auf interne Ablaufprotokolle. Das bayerische Landeskriminalamt (LKA) habe bereits am Vormittag des Liefertages das Umweltministerium in München über einen „unmittelbar bevorstehenden Plutoniumschmuggel“ in einer Größenordnung von etwa 500 Gramm unterrichtet. Die bayerischen Umweltministerialen gaben diese Neuigkeit sogleich an das Bundesumweltministerium weiter. Auch die europäische Atomkontrollbehörde Euratom in Brüssel wurde angeblich benachrichtigt.

Ziel des LKA-Rundrufs war es, alle über „einen bevorstehenden Transport des Plutoniums von München in das Europäische Institut für Transurane“ bei Karlsruhe zu informieren. Die „Zustimmung von Euratom liegt vor“, teilte Ministerialdirektor Dr. Vogel vom bayerischen Umweltministerium seinem Ressortkollegen in Baden- Württemberg wenig später mit.

Die LKA-Leute selbst wußten bereits drei Tage vorher, wann die Maschine in Bayern eintreffen würde, denn jeder Schritt der drei Schmuggler, deren Tickets aus der deutschen Steuerkasse bezahlt worden waren, wurde registriert. Dutzende von Telefonaten zwischen Moskau und den beiden in München gebliebenen Kumpanen wurden abgehört, berichtet der Spiegel. So erfuhren die LKA- Beamten auch, daß die Beschaffung des hochgiftigen Bombenmaterials Schwierigkeiten machte. Nach Angaben der ZDF-Sendung „Bonn direkt“ seien Verantwortliche aus früheren KGB-Kreisen bestochen worden. Diese bekämen in der Regel zehn Prozent des Warenwerts als Lohn.

Am Flughafen in München warteten dann auch zwei Leute vom Bundesnachrichtendienst (BND) auf die Schmuggler — ein untrügliches Zeichen, daß auch sie informiert waren. Die bayerische Staatsanwaltschaft räumte schon am Freitag ein, daß sie im Vorfeld von dem gefährlichen Transport in einer Passagiermaschine gewußt habe. 363 Gramm atomwaffentaugliches, hochgiftiges Plutonium sowie Lithium wurden sichergestellt, die zwei Spanier und ein Kolumbianer abgeführt.

Die Verantwortlichen der deutschen Geheimdienste weisen den Vorwurf nach wie vor zurück, sie hätten den Handel selbst eingefädelt. Auf einer Sondersitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) am Donnerstag erklärten sie, es sei damals gelungen, „vagabundierendes Material“ sicherzustellen. Bündnis 90/ Die Grünen und SPD wollen einen Untersuchungsausschuß über die Affäre. Über seine Einsetzung wird der Bundestag eventuell schon diese Woche entscheiden.

Das baden-württembergische Umweltministerium erneuerte unterdessen seinen Vorwurf, die bayerischen Behörden hätten das Plutonium nach seiner Sicherstellung am Flughafen mit einem einfachen Auto nach Karlsruhe kutschiert. Der Sprecher des bayerischen Justizministeriums wies das gestern als „falsch und frei erfunden“ zurück. Die Fracht sei mit einem Spezialfahrzeug transportiert worden, das von einem zivilen Polizei- und einem Funkwagen begleitet worden wäre.