Die Macht der Worte

■ Gesichter der Großstadt: Die seit drei Jahren in Berlin lebende afroamerikanische Jazzpoetin Sharifa Khaliq steht in der Tradition westafrikanischer Geschichtenerzähler

Sharifa Khaliq nimmt den Rhythmus der Trommel auf, wippt mit der Fußspitze und schüttelt lächelnd den Kopf. Chino Frederik verlangsamt die Trommelschläge ein wenig, schaut zu Sharifa, doch die schüttelt immer noch den Kopf – schelmisch, als wolle sie die Trommlerin auf die Probe stellen. Ohne Worte zu wechseln, nur durch Blicke, verständigen sich die beiden auf das Tempo. Als auch die letzte Nuance stimmt, erklingen die ersten Worte eines Jazzgedichtes. Wenn Sharifa spricht, klingt das wie Musik, so voll und melodiös ist ihre Stimme. Der rhythmische Fluß der Worte erzeugt eine Intensität, die sich sofort auf das Publikum überträgt.

Wie die westafrikanischen griots, die Geschichtenerzähler, in deren Tradition sich Sharifa sieht, trägt sie bei ihrem Auftritt im „Unart“ in Kreuzberg ihre Gedichte nur von der Trommel begleitet vor. Eines bleibt noch tagelang im Gedächtnis hängen. Das Gedicht über die Mütter, die vor den zerfetzten Körpern ihrer Babys stehen, ob in Bosnien-Herzegowina, Bangladesch oder South Central, L. A. „Gewalt wird zum Gleichmacher, weltweit. Eine Kugel ist eine Kugel, Blut ist Blut.“ Selbst im Gespräch fallen Sharifas Worte in einen Jazz-Rhythmus.

So wie die griots die Geschichte ihres Volkes in Geschichtenform bewahren und weitergeben, so schöpft sie ihre Gedichte aus ihrem Leben. „Es ist wie ein Mikrokosmos der afroamerikanischen Community“, sagt sie. „Gleichzeitig beziehe ich mich auf die Vorfahren.“ Dafür genügt es, Namen und Orte zu nennen, ohne ins Detail zu gehen. „Im Aussprechen des Namens liegt Macht. Damit beschwöre ich die ganze Geschichte herauf.“ Eine Technik, auf die sie sich bei ihren Auftritten in Berlin nicht verlassen kann. „Hier muß ich mich stärker darauf konzentrieren, die Stimmung eines Gedichtes rüberzubringen, als darauf zu vertrauen, daß alle Anspielungen verstanden werden. Das ist eine ganz neue Herausforderung.“

Vor drei Jahren kam die 36jährige mit ihrem Ehemann und Saxophonspieler Fuasi Abdul Khaliq nach Berlin, um die Jazzszene „auszuchecken“. Innerhalb von sechs Wochen entschieden sich die beiden „ziemlich impulsiv“ hierzubleiben. Wenig später holte Sharifa ihre siebenjährige Tochter und ihre beiden neun- und zwölfjährigen Söhne nach. Obwohl sie sich inzwischen von ihrem Ehemann getrennt hat, arbeiten die beiden musikalisch noch zusammen. Berlin, das sich in den letzten Jahren zum Anziehungspunkt für Jazzmusiker nicht nur aus den USA entwickelt hat, bietet den Khaliqs bessere Auftrittsmöglichkeiten als in den USA. „Dort kannst du von Jazz nicht leben, es sei denn, du macht etwas Kommerzielles“, bedauert sie.

Jazzpoetry ist als originäre schwarze Kunstform auch in den USA nicht sehr weit verbreitet. Sie entstand in den zwanziger Jahren während der Harlem Renaissance als Weiterentwicklung der westafrikanischen griot-Tradition.

Für Sharifa ist Berlin das Sprungbrett zum Erfolg. Soeben hat sie mit Fuasi Khaliqs Jazzband Wordsong die Aufnahmen zur ersten CD beendet. „Sharifa's favourite things“ heißt sie und erscheint Ende Mai bei dem Independent Label Downbeat. „Zuerst sollte es eine Maxi-CD mit drei Jazzgedichten werden, doch dann sagte Warner, die den Vertrieb übernehmen: ,Macht doch eine ganze CD draus!‘“ Eine enorme Anerkennung für die Quereinsteigerin, deren Karriere als Jazzdichterin eher zufällig begann. Fuasi Khaliqs Gruppe Wordsong bot in Atlanta Jazzpoetry-Workshops an Schulen an. Sharifa stieg als Koordinatorin in das Projekt ein. „Ich war so inspiriert von den Jazzpoeten, daß ich selbst wieder anfing zu schreiben, was ich schon jahrelang nicht mehr getan hatte.“ Seit 1989 steht die frühere Englischlehrerin und Verkaufsleiterin eines Kaufhauses auf der Bühne. „Das Klassenzimmer ist auch eine Form von Bühne, Kinder sind ein ziemlich anspruchsvolles Publikum“, sagt sie lachend. In Atlanta unterrichtete sie an einer Privatschule für Schwarze. „Hier bestimmte die afrozentrische Perspektive den gesamten Lehrplan, eine einmalige Erfahrung“, erzählt die lebhafte Frau mit den Dreadlocks und der Brille mit schmalem Goldrand. Sie identifiziere sich „völlig“ mit dem Black Consciousness Movement. „Aber ich betrete die Bühne nicht als zornige, schwarze Frau, sondern als Geschichtenerzählerin.“

Von ihren Auftritten vor weißem Publikum erhofft sie sich vor allem eines: „Ich hoffe, Momente zu schaffen, in denen sich die Menschen mit den Geschichten verbunden fühlen. Und ich hoffe, daß sie das mitnehmen und sich daran erinnern, wenn sie das nächste Mal jemandem begegnen, der meine Geschichte als schwarze Frau teilt.“ Dorothee Winden