5.600 Ermittlungen - 21 Anklagen

■ Sachsen-Anhalts Justizministerin Karin Schubert (SPD) zur Frage Akteneinsicht, Amnestie und Straffreiheit für mittel- und minderschwere DDR-Unrechtstaten / Ein Plädoyer für eine Bundesratsinitative

taz: Sie wollen mit Ablauf der Verjährungsfrist für geringfügige DDR-Regimestraftaten auch die Ermittlungen bei mittelschweren Straftaten einstellen. Eine Amnestie durch die Hintertür?

Schubert: Ich habe ein Straffreiheitsgesetz für diese mittelschweren Taten vorgeschlagen. Das würde natürlich auch die Einstellung der Ermittlungen bedeuten. Aber das läßt sich für Sachsen-Anhalt allein gar nicht machen. Strafrecht ist Bundesrecht.

Vertreten Sie damit auch die Ansicht der Landesregierung?

Das ist meine persönliche Auffassung, die vom Kabinett und auch von der Fraktion nicht mit Mehrheit getragen wird. Von daher gesehen könnte ich schon gar keinen Alleingang wagen.

Also planen Sie keine entsprechende Bundesratsinitiative?

Nein, weil sich zu wenig Länder dem anschließen würden. Eine Bundesratsinitiative, die von vornherein einen Mißerfolg erwarten läßt, ist sinnlos. Aber im Bundestag ist ein Teil der Abgeordneten meiner Meinung. Ich möchte, daß sich das ausweitet und eine entsprechende Initiative vom Bundestag ausgeht. Deswegen führe ich eine ganze Reihe von Gesprächen.

Aber es gibt Opfer, die den Vorstoß als Verhöhnung betrachten. Frei nach dem Motto: Wenn ich in vielen Fällen nicht zu einem Urteil komme, stelle ich in allen Fällen die Ermittlungen ein.

So kann man das nicht sagen. Es ist ja fünf Jahre lang ermittelt worden. Und es sind ja auch sehr viele Unrechtstaten aufgedeckt worden, was aber letztendlich nicht zu den erwarteten Strafen geführt hat. Das erzeugt eine gewisse Resignation. Wenn man fünf Jahre lang ermittelt und dann nur ein Bruchteil der aus der Sicht der Opfer sicher zu Recht eingeleiteten Verfahren zu Verurteilungen führen, dann muß man sich fragen, ob man das so weiterführen will. Es ist ja nicht zu erwarten, daß die jetzt noch offenen oder noch nicht eingeleiteten Ermittlungsverfahren einen anderen Ausgang nehmen. Wir haben in Sachsen-Anhalt 5.600 Ermittlungsverfahren eingeleitet, und nur bei 21 ist es zu Anklagen gekommen. Soll man also die Vergangenheit weiterhin strafrechtlich aufarbeiten, oder soll man die Aufarbeitung nicht den Historikern überlassen. Wichtig bleibt natürlich, die Erinnerung an die Unrechtstaten aufrechtzuerhalten. Darauf sollten wir unsere Kräfte konzentrieren, daß man so etwas wie den DDR-Staat für die Zukunft verhindert. Dazu hat die bisherige Ermittlungstätigkeit ihren Teil bereits beigetragen, da sie das in der DDR verübte Unrecht aufgedeckt hat.

Zahlreiche Opfer konnten noch immer nicht ihre Akten einsehen. Ist Ihr Vorstoß nicht verfrüht?

Die Akteneinsicht ist etwas anderes. Ich bin dafür, daß die Akten offengehalten werden, sowohl für die Opfer als auch für die Wissenschaftler. Aber Akteneinsicht bedeutet ja nicht, daß gleichzeitig ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Es ist ja ganz eklatant, daß die bisherigen Verfahren nur zu einem ganz geringen Teil aufgrund der Anträge von Opfern eingeleitet wurden. In den meisten Fällen wurde der Staat beziehungsweise die Justiz von sich aus tätig.

Aber Sie nehmen doch mit einem solchen Straffreiheitsgesetz den Opfern, die ihre Akten noch nicht einsehen konnten, jede Möglichkeit, nach Akteneinsicht Strafantrag zu stellen.

Bei Kapitalverbrechen nicht, die dürfen ganz klar nicht unter ein solches Straffreiheitsgesetz fallen. Das kann kein Mensch verantworten. Ansonsten meine ich aber, wer wirklich einen Strafantrag stellen wollte, konnte das in den vergangenen fünf Jahren tun.

Interview: Eberhard Löblich