Weder Schlußstrich noch hemmende Fixierung

■ Debatte der Bündnisgrünen mit Joachim Gauck über Umgang mit DDR-Unrecht

Bonn (taz) – Für Gauck war es „eine Begegnung der besonderen Art“. In der Bonner Fraktion der Bündnisgrünen traf der Chef der nach ihm benannten Bundesbehörde am Dienstag drei ehemalige Kollegen aus der ersten freigewählten Volkskammer der DDR, um mit ihnen über den weiteren Umgang mit DDR-Unrecht zu debattieren.

Gauck weiß, daß manche Grünen-Abgeordneten Stasi-Überprüfungen als Herrschaftsinstrument ablehnen und der von den Ex-Bürgerrechtlern in den eigenen Reihen immer wieder angemahnten Beschäftigung mit SED-Unrecht wenig abgewinnen können. Daher betonte er, das Stasi-Unterlagengesetz stehe in einer partizipatorisch-emanzipatorischen Tradidition und basiere auf den Normen eines „entwickelten, liberalen Rechtsstaates“. Zu beiden Gedanken, so weiß der Hüter der Stasi- Akten, bekennen sich die Grünen offensiv.

Am Montag erst hatten sich ehemalige DDR-Bürgerrechtler in einer in der taz veröffentlichten Erklärung gegen die Idee eines „Schlußstriches“ gewandt und für die Verlängerung der Verjährungsfristen für DDR-Unrecht plädiert.

Das von einer Arbeitsgruppe der Fraktion am Dienstag vorgelegte Papier zum Umgang mit DDR-Unrecht können die Bürgerrechtler mit der „Schlußstrich“- Warnung nicht gemeint haben: Es basiert auf dem Gedanken, daß die Aufarbeitung der Vergangenheit einer Diktatur die Zukunft der Demokratie befördere, wie der Abgeordnete Gerald Häfner erklärte.

Als großes Problem nannte Häfner, daß die gesellschaftliche Aufgabe der „Aufarbeitung“ oft auf strafrechtliche Ahndung beschränkt bleibe. Das Papier wendet sich nicht gegen eine Verjährung, plädiert aber für die personelle und materielle Aufstockung der Zentralen Ermittlungsstelle für Regierungs- und Einigungskriminalität (ZERV) und der Gauck- Behörde. Es plädiert außerdem für eine Differenzierung beim Ausschluß von öffentlichen Ämtern: Nur der höhere und gehobene Dienst soll Stasi-Mitarbeitern künftig verwehrt bleiben. Die politische und gesellschaftliche Aufarbeitung wollen die Grünen durch die Einrichtung einer Stiftung zur Forschung und Aufklärung fördern.

Über einzelne Forderungen des noch nicht abstimmungsreifen Papiers werden sich die Grünen einigen können. Grundfragen scheinen schwieriger: Ist Versöhnung schon möglich, wenn sie sich in einer „versöhnenden Geste der Opfer“ ausdrücken könnte, wie Kerstin Müller ihren FraktionskollegInnen aus den neuen Ländern vorschlug? Schließlich, so warnte die Fraktionssprecherin der Bündnisgrünen, dürfe der politische Gewinn aus einem Versöhnungsangebot nicht den anderen Parteien überlassen bleiben.

Gauck hat Bedenken: Zur Versöhnung brauche man einen Partner, der zu seinem Unrecht stehe und es bereue. Aber den kann Gauck in den Hinterlassenschaften der DDR nirgendwo ausmachen. Hans Monath