Einstieg in die Menschenzüchtung

■ Zur „Keimbahntherapie“ – den Eingriff in die menschlichen Fortpflanzungszellen – äußert sich die „Lex Gentechnik“ nur zweideutig

Eine der umstrittensten Reglungen in der Patentierungsrichtlinie ist die zweideutige Aussage über die Keimbahntherapie, das heißt die Einpflanzung bestimmter Gene in die Keimzellen. Diese Gene würden somit an alle weiteren Generationen weitervererbt werden. KritikerInnen meinen, daß die Patentrichtlinie hier allzu durchlässig ist. Ihre Befürchtung: Künftig könnten Patente für Manipulationsverfahren an menschlichen Fortpflanzungszellen vergeben werden – obwohl dieser Eingriff in den meisten Ländern nicht zulässig ist. In der Bundesrepublik ist ein derartiger Eingriff nach dem Embryonenschutzgesetz verboten. Zuwiderhandlungen werden mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft.

In der Patentrichtlinie heißt es hierzu lediglich, daß „Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität des Menschen, die die Menschenwürde verletzen, von der Patentierbarkeit ausgenommen“ sind. Nur im Anhang gibt es die Zusatzerklärung, daß nach dem „derzeitigen Stand der Wissenschaft die Keimbahntherapie am Menschen gegenwärtig aus ethischer Sicht unannehmbar ist“. Damit bleibt trotz gegenläufiger Verlautbarungen die Option erhalten, in Zukunft – wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen – erneut über einen „Einstieg in die Menschenzüchtung“ nachzudenken. Die Richtlinie reagiert damit auf Forderungen aus Forschung und Industrie. Obwohl bisher fast Einigkeit darüber bestand, daß Eingriffe in die Keimzellen ein Tabu bleiben sollen, sind seit einiger Zeit vermehrt Stimmen zu hören, daß dieses Verbot nicht für alle Zeiten bestehen bleiben darf. Spätestens wenn die Techniken entwickelt sind, um einen derartigen Eingriff in das menschliche Genom ohne größeres gesundheitliches Risiko für die Patienten vornehmen zu können, wird sich die Frage dann in einem anderem Licht stellen. Die beiden einzigen EU-Mitgliedsstaaten, die diese Entwicklung nicht mitmachen, sind Österreich und Dänemark. Beide haben bereits angekündigt, daß sie gegen die Annahme der Patentrichtlinie stimmen werden. Für das Alpenland wäre die Richtlinie eine „vollständige Durchbrechung aller ethischen Barrieren“.

Österreich hat auch als einziges Land bisher deutlich klargestellt, daß die Zusatzerklärung im Anhang keinerlei rechtliche Bindung hat. Sollte die Richtlinie im Europaparlament eine Mehrheit finden und wie vorgesehen am 1. Januar 1997 in Kraft treten, dürften dann auch Patente auf Verfahren zur Keimbahntherapie patentiert werden.

Der Europaabgeordnete Willi Rothley von der SPD kann diese Kritik nicht nachvollziehen. Er vertritt die Ansicht, daß trotz Patentrichtlinie jedem Land weiterhin freigestellt ist, „auf nationaler Ebene trotzddem die Keimbahntherapie zu verbieten oder unter Strafe zu stellen“. Auch wenn es einmal möglich sein sollte, ein Patent zu erhalten, „so ist damit ein solches Verfahren doch noch lange nicht erlaubt“. Zum Vergleich führt er an, daß es selbst in Ländern, in denen die Abtreibung verboten ist, Patente auf neue Abtreibungsmethoden gibt.

So ähnlich wird es die deutsche Regierung sehen. Sie hat auch keinen Grund, die Patentrichtlinie abzulehnen. Trotz des Verbots im Embryonenschutzgesetz hat sie sich für die Patentrichtlinie ausgesprochen.