Im Nadelöhr des Juste-milieu

■ In München wurde wieder die Notwendigkeit einer rechten Intelligenz diskutiert

„Die Diskutanten an diesem Abend kommen zur Sache und fragen: Wieviel Nation braucht ein Volk?“ hieß es vielversprechend in der Einladung zur Podiumsdikussion. Thema: „Bocksgesänge und Hahnenkämpfe – Deutsche Schriftsteller und die Politik“. Ort: „Literatur live“ im Münchner Soft- Research. Anlaß: Die seit Monaten andauernde Feuilleton-Debatte um Botho Strauß, Theater heute und den Schmuddelessayband „Die selbstbewußte Nation“. Ergebnis: Keines – außer vielleicht der von Rüdiger Safranski formulierten trüben Erkenntnis: „Wir sind doch ausgenüchterte Arschlöcher und leiden unter einem Romantik- und Verzauberungsdefizit.“ Wie uns die Nation verzaubern könnte, verriet der Heidegger-Biograph nicht.

Safranski, der mit einem ursprünglich für die FAZ geschriebenen Beitrag über die „Wiederkehr des Bösen“ eher zufällig in „Die selbstbewußte Nation“ geraten ist, machte sich darüber das Herz nicht allzu schwer. Er sei eben ein „Freibeuter“. Zwar ärgere es ihn, daß das Buch vom Verlag als „Lagerdokument der Rechten“ herausgebracht worden sei, schlimmer aber stoße ihm das nun anschwellende Entrüstungsgeschrei und die „Verwahrlosung der Diskussion“ auf. Micha Brumlik, der einzige auf dem Podium, der einmal so etwas wie ein Politiker war, protestierte etwas matt gegen solche Vorhaltungen. Für ihn droht hinter der neuen „rechten Intelligenzler-Kultur“ die Re-Etablierung einer rechten Partei.

Auch Peter von Becker (Theater heute) erregte sich über das „skandalös dumme“ Buch (Strauß und Safranski sieht er dabei nur als Hors d'oeuvre und Dessert). Für Becker ist die neue Rechte mehr ein „hysterisches Phänomen“: aufgeschäumt und unter „Binnenhirnerhitzung“ leidend.

Safranski („Ich war 68er und bin heute Liberaler“) hub dann aber doch an, das Hohelied von der Notwendigkeit einer konservativen Intelligenz zu singen. „Wie kriegen wir ein intelligentes konservatives Milieu zustande?“ fragte er in den Saal. Und weil keiner eine Antwort geben mochte, gab er – alles muß man selber machen – gleich ein paar Kostproben, womit sich dieses von ihm so vermißte Milieu zu beschäftigen habe: „Uns fehlt die adäquate politische Sprache für unsere Befindlichkeiten und unser Unbehagen.“ Dabei sei die Nation ja eigentlich nur die „Schwundstufe der religiösen Bindung“. Daß nach der Vereinigung keine echte „nationale Verantwortungsgemeinschaft“ entstanden sei, das dürfe doch, bitte schön, auch beklagt werden. Botho Strauß versuche ja nichts anderes, als „das frei flottierende katastrophische Denken durch das Nadelöhr des Juste-milieu zu fädeln“.

„Der Nordwind weht von ganz alleine“, fiel Moderator Jürgen Busche (Süddeutsche Zeitung) dazu ein. Konservative gebe es doch immer, und wieso man nun aus Botho Strauß einen Propheten machen müsse? Brumlik stellte die bedenkenswerte Frage, wie zivil denn eigentlich eine Rechte sei, die sich ernst nimmt. Worauf Safranski noch einmal nachlegte und die allgemeine Säkularisierung beklagte, die wir mit einer „dramatischen Plattheit erkauft“ hätten. Einen kritischen Blick auf den Stand der Säkularisierung im Sinne des Straußschen Unbehagens an der Kultur sei von Leuten von links eben nicht zu leisten: Selbst die Liebe sei durch die Psychoanalyse verseucht worden. Da solle man sich doch lieber an Augustinus halten.

Vielleicht meinte ja Thomas Palzer (der einzige unter 40 auf dem Podium) genau das, als er bereits eingangs die ganze Diskussion als „Alte-Säcke-Kultur“ bezeichnete. „Die einzige Nation ist heute Apple oder MS-Dos, und Botho Strauß ist der Herbert Reinecker des Theaters.“ Was ein anderer jugendlicher Diskutant aus dem Publikum am Ende mit dem Diktum unterstützte, hier habe mal wieder ein Binnendiskurs stattgefunden, „der sich aber Gott sei Dank biologisch erledigen wird“. Hart ist die Jugend mit dem Wort. Schriftkultur ade, der „Wechsel vom hierarchischen zum konfigurativen Denken“ (Palzer) steht unmittelbar bevor. Selbst so eine panel-discussion sei eigentlich nix anderes als Fernsehen.

Wie viele panels braucht ein Volk? Thomas Pampuch