Vom Kummerbund zum Ehemuffel

■ Warum die Zahl der Eheschließungen in Berlin immer mehr abnimmt, war erhellend bei einem Besuch der „2. Berliner Hochzeitstage“ zu erfahren

„Also, wenn ich so was wie die Frau da vorne sehe, schicker Mantel und dann solche Turnschuhe dazu. Das ist doch der Hammer.“ Die Verlegerin der Münchner Zeitschrift Bräute ist gänzlich entsetzt.

Bräute ist keineswegs das Blatt mit Abschlepptips für den aufgeweckten Hetero, sondern ein Magazin für Brautpaare, und die Dame ist geschäftlich unterwegs. Die „2. Berliner Hochzeitstage“ haben sie von der Isar an die Spree gelockt.

In der Messehalle wird sie dann für den Anblick der schnöden Turnschuhe entschädigt: rote Pappherzchen im Dutzend, Tüllschleifen in allen erdenklichen Farben, „Just Married“-Schilder, Fotos von verzückt lächelnden Paaren und Luftballons in Herzform zieren nahezu jeden Ausstellungsstand. Sogar die Appetithäppchen sind dem Ereignis angepaßt.

Statt Schnittchen gibt's Ferrero- Küßchen und Herzkirschen. Eigentlich sollte auf den „Hochzeitstagen“ alles geboten werden, was „den schönsten Tag des Lebens zu einem einmaligen Ereignis werden läßt“. Einmaligkeit suchte man aber vergeblich. Von der Kutsche über den Cadillac zum Blumengebinde und der Hochzeitskarte mit verliebt blickenden Bärchen wurde alles präsentiert, was man bei jeder Hochzeit erwartet.

Auch die Damenmode zeigt wenig Originelles: Ein Brautkleidstand am Eingang ruft bei den Kamerateams zwar großes Interesse hervor. Das liegt aber weniger an den – ausschließlich weißen – Kleidern als vielmehr an dem Inhalt eines ganz bestimmten Modells. Das ist nämlich die amtierende Miß Berlin, die ihr schönstes Lächeln aufsetzt, um Spenden für kranke Kinder zu sammeln.

„Wenn ich heirate, dann in so einem Kleid wie diesem“, verrät sie und blickt selig auf den „Traum in Weiß“, mit dem sie, obwohl selbst recht zierlich, eine Sitzbank für drei Personen füllt. „Mein Freund durfte deshalb auch nicht mitkommen. Der darf das Brautkleid doch nicht sehen“, plappert sie und liegt auch damit voll im Trend. Etliche Frauen kamen in weiblicher Begleitung, damit ER das Kleid nicht vorher sieht. Auch nicht gerade einmalig.

Beim Herrenausstatter gegenüber trifft man den zum Plaudern aufgelegten Geschäftsführer Herrn Jenkins. Der schnauzbärtige, untersetzte Mittdreißiger verspricht, dem Bräutigam eine „Fülle von Ereignissen“ zu bieten. Der Kummerbund sei wieder sehr im Kommen. „Ja, ja. Fronkreisch, Fronkreisch. Da haben die Mätressen den Herren Liebesbriefe reingesteckt. Und weil die Ehefrauen die dann doch gefunden haben, heißt die Bauchbinde Kummerbund“, schwatzt er drauflos. „Das ist von mir“, gesteht er und freut sich. Einmalig.

Das weibliche Pendant zum Kummerbund ist nicht so bequem, weil weniger elastisch, aber trotzdem ebenso gefragt: die Corsage. „So eine Taille kriegt man mit keinem Body hin“, weiß die schon sektbeschwipste Verkäuferin eines Dessous-Shops zu berichten. Sehr beliebt seien auch die Strings. „Das sind ganz schmal geschnittene Slips zum Drunterziehen.“

Wer seinen Bauch nicht durch Corsage oder Kummerbund beengen will, hat wahrscheinlich mehr Freude an den Hochzeitstorten, die vom Café Möhring in allen Größen und Farben zur Schau gestellt werden. „Am besten ist aber eine helle Grundfarbe, damit die Rosen besser zur Geltung kommen“, rät die Fachfrau. Abzuraten sei von Schokoladentorten mit aufgesetzten Kutschen. Nach drei Stunden sähen die nämlich so aus, als ob die Kutschen in der Schoko- Creme versänken.

Weder Hochzeitskutsche noch Cadillac, Strings oder Kummerbund vermögen jedoch einen Trend aufzuhalten: die Zahl der Eheschließungen in Berlin geht konstant zurück. 1993 waren es nur noch 17.111 und damit genau 7.321 weniger als im Jahr zuvor. Und was bringt das Jahr 1995? Eine erste Schätzung geht von einer weiteren Abnahme um etwa 10.000 Eheschließungen aus. Das entspricht ungefähr der Zahl der Besucher der „2. Berliner Hochzeitstage“. Gesa Schulz