Dieser ständige kontrollierende Blick

■ Die Polin Alicia Novak hat in ihrem Heimatland ein Technikstudium abgeschlossen und in Berliner Haushalten Böden und Klos geschrubbt: „Ich dachte, ich verblöde“

Nein, so richtig Schlechtes könne sie eigentlich nicht über ihre Arbeitgeber sagen, meint Alicia Novak*. Sie zahlten pünktlich, sprachen nur in höflichem Tonfall mit ihr, immer per Sie. Genau genommen waren es ja auch Arbeitgeberinnen: „Ich hatte fast immer nur mit den Ehefrauen zu tun.“ Das machte die Sache jedoch nicht leichter: „Den Dreck anderer Leute wegzumachen ist keine Arbeit wie jede andere. Du fühlst dich als nix.“

Als 24jährige war Alicia Novak vor 14 Jahren nach Berlin gekommen. Abitur und das Technikstudium in Polen nutzten ihr hier nichts. Es gab in den ersten neun Jahren für sie nur eine Art von Job, zuerst ohne, dann mit Arbeitserlaubnis. Die Akademikerin schrubbte, wienerte, wischte und polierte Böden, Schränke und Wasserhähne in Berliner Haushalten. Zum Beispiel drei Jahre bei einer Arztfamilie in Zehlendorf, „wirklich sehr korrekte Leute, die Frau etwas pingelig“. Die Villa mit Swimmingpool hatte 15 Zimmer, es gab drei Kinder und zwei Dobermänner.

„Morgens führte ich die Hunde aus, dann habe ich geputzt.“ Mit immerhin 15 verschiedenen Putzlappen, „nach Etagen sortiert“. Allein für die Küchenschränke brauchte sie zwei verschiedene Polituren, wegen der Zierleisten. Sie schuftete dreimal die Woche je sieben Stunden, sozialversicherungspflichtig angestellt. Dafür gab es rund 1.000 Mark netto im Monat.

Nicht offene Mäkeleien waren es, die ihr den Job dort vermiesten, erzählt Novak. Nein, es sei vielmehr „dieser unauffällige, ständig kontrollierende Blick“ der Hausherrin, der inneren Streß erzeuge. „Das ist so eng, da kriegt man manchmal keine Luft mehr. Da heißt es nicht: Der Wintergarten war neulich nicht richtig gewischt. Sondern die Frau sagt dann betont munter: Heute machen wir den Wintergarten mal besonders gründlich!“

Dabei habe sie eigentlich Glück gehabt mit diesen Arbeitgebern. Es waren aufgeklärte Leute. Manchmal durfte die Alleinerziehende sogar ihren Sohn mit zur Arbeit bringen. Manchmal. Die Hausherrin, selbst Ärztin, konnte sich jeden Nachmittag ihren Kindern widmen. „Die gingen dann ins Kindertheater. Ich war neidisch. Denn mein Sohn hat oft geweint, wenn er den ganzen Tag in der Kita bleiben mußte.“

Und dann die Arbeit selbst, die Sonderwünsche der Arbeitgeber: „Ich dachte, ich verblöde, ich verliere meinen Kopf.“ Bei einem Ehepaar mit Stauballergie mußte sie stundenlang Parkettböden und Schränke wischen und die persischen Brücken ausklopfen. Bei einer Hausherrin mit Angst vor Infektionskrankheiten sollte sie ständig die Toilette bürsten. „Die war da richtig fanatisch.“ Manche Damen des Hauses lobten sie als „unsere gute Fee“. „In Wirklichkeit aber bist du immer nur die Putzfrau. Das habe ich gemerkt, als ich krank wurde“, schildert Novak.

In dem Zehlendorfer Ärztehaushalt konnte sie vier Wochen lang nicht antreten, wegen des verrenkten Rückens. Der Lohn mußte weitergezahlt werden. „Die Frau rief mich an und sagte, sie sei jetzt sehr ,unglücklich‘ über meine Krankheit. Denn schließlich müsse sie eine zweite Kraft entlohnen, also doppelt bezahlen.“ Nach dieser Erfahrung trennte man sich „im Einvernehmen“.

Das war der Wendepunkt für Novak. „Ich sagte mir: Nie wieder putzen. Egal was, aber nie wieder putzen.“ Sie bewarb sich als Prüferin bei der Telefonfirma Bosse in Kreuzberg und wurde eingestellt. Schon nach wenigen Monaten dort konnte sie ins Büro wechseln. „Ich lebte auf. Ich bin sehr, sehr gerne zu dieser Arbeit gegangen. Ich fühlte mich als vollwertiger Mensch.“

Nachdem Bosse die Belegschaft verkleinern mußte, hat die heute 38jährige eine Ausbildung als Altenpflegerin begonnen. „Ich war manchmal so froh, daß es diese Leute gab, die mich beschäftigt haben. Ich brauchte ja das Geld“, sagt Alicia Novak heute. „Trotzdem würde ich jedem raten: Wenn du schon putzen mußt, dann vielleicht lieber in einer Kolonne. Da bist du freier. Und wenn du putzt, dann mache es möglichst nur kurze Zeit.“

* Name geändert