Kreide gefressen

■ Mit überraschend klarer Mehrheit stimmt das Europaparlament der neuen EU-Kommission zu

Brüssel (taz) – Der neue Kommissionspräsident Jacques Santer strahlte übers ganze Gesicht. Mit einer satten Mehrheit sprach das Europaparlament der Kommission das Vertrauen aus. Für die nächsten fünf Jahre werden der Luxemburger Santer und die 19 Kommissare, die von den nationalen Regierungen der 15 Mitgliedsländer ernannt wurden, als eine Art Regierung die Geschäfte der Europäischen Union führen.

Schon am Vorabend, nach den Besprechungen mit den Fraktionschefs des Parlaments, hatte sich Santer im Straßburger Traditionslokal „Zuam Strissel“ bei Sauerkraut und Schweinernem zuversichtlich gegeben. Von der Höhe der Zustimmung war er dann trotzdem überrascht. Bei 59 Enthaltungen votierten 416 Abgeordnete mit Ja und nur 103 mit Nein.

Damit ist die Europäische EU-Kommission zum ersten Mal in ihrer Geschichte demokratisch legitimiert, wie Santer gestern stolz hervorhob. Trotz der Bedenken gegen einige Kommissare, die sich bei den Anhörungen vor den Fachausschüssen schlecht vorbereitet und wenig kooperationsbereit gezeigt hatten, überwog im Parlament die Meinung, daß die künftige Kommission besser sei als die vorherige. Sie habe eine Reihe hervorragender Persönlichkeiten, die in ihrer bisherigen Biographie nicht nur ihre politische Kompetenz, sondern auch ihre Unabhängigkeit von den nationalen Regierungen bewiesen hätten.

Schon die Bereitschaft, sich den Anhörungen vor dem Parlament zu stellen, wurde von vielen Abgeordneten als Signal gewertet, das Parlament künftig ernst zu nehmen. Die bisherige Kommission fühlte sich fast ausschließlich dem Ministerrat verantwortlich, in dem die Minister der nationalen Regierungen die europäischen Gesetze meist nach den Regeln des Kuhhandels auszuarbeiten pflegten.

Fast geschlossen mit Nein gestimmt hatte die Fraktion der Grünen. Sie kritisierte vor allem die unveränderte Ressortverteilung. So gebe es nach wie vor keinen eindeutig Verantwortlichen für Entwicklungspolitik, für Gleichstellungsfragen und für Menschenrechte, klagte die Abgeordnete Claudia Roth.

Im Unterschied dazu hielt Pauline Green von den Sozialisten das Versprechen Santers, sich in diesen Bereichen persönlich zu engagieren, für ausreichend. Und die SPD-Abgeordneten Willi Görlach und Mechtild Rothe kommentierten schlicht, nach diversen Sandkastenspielen sei die Mehrheit zu dem Schluß gekommen, daß durch eine Ablehnung keine nennenswerten Verbesserungen zu erreichen seien. Alois Berger

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