Die Europaparlamentarier zeigen die Zähne

■ Trotzdem wird die EU-Kommission bei der Abstimmung heute kaum durchfallen

Straßburg (taz) – Kommissionspräsident Jacques Santer hat dem Europäischen Parlament seinen guten Willen gezeigt und Zusagen für eine bessere Zusammenarbeit gemacht. Eine teilweise Neuverteilung der Zuständigkeiten seiner 19 Kommissare, wie sie von vielen Abgeordneten verlangt worden war, lehnte er jedoch ab. Trotzdem ließen die Vorsitzenden der beiden großen Parlamentsfraktionen – Wilfried Martens für die konservativen Volksparteien und Pauline Green für die Sozialisten – durchblicken, daß sie die Kommission bei der Abstimmung am heutigen Mittwoch nicht durchfallen lassen wollen. Aber es könnte knapp werden. Vor allem bei den Sozialisten entstand gestern die Meinung, eine nur zu drei Vierteln kompetente Kommission dürfe keine allzu klare Zustimmung bekommen.

Santer war bemüht, dem Parlament ein Entgegenkommen auf allen Ebenen zu signalisieren, vermied jedoch alles, was zu einem Gesichtsverlust einiger seiner Kommissare hätte führen können. Er machte den Eindruck, als scheue er eine Umverteilung der Kompetenzen auch mit Rücksicht auf die nationalen Regierungen. Die haben ihm schließlich die Kommissare ernannt und könnten es als Affront verstehen, wenn er ihre Brüsseler Statthalter wieder etwas zurückstutzen würde.

Auf die härtesten Kritikpunkte, die von den Parlamentariern in den vergangenen zwei Wochen vorgebracht worden waren, reagierte Santer mit dem Versprechen, sich persönlich um die Probleme zu kümmern. Die Frauen- und Gleichstellungspolitik, die nach Ansicht des Sozialausschusses beim irischen Kommissar Padraig Flynn in „völlig falschen Händen“ ist, soll künftig von einer Kommissarengruppe unter Leitung von Santer behandelt werden.

Auch die Zuständigkeit für die Entwicklungspolitik, die bei der Aufteilung der Außenpolitik in vier regionale Bereiche weitgehend verlorenging, will Santer selbst in die Hand nehmen. Er werde die vier Kommissare, die für Außenpolitik zuständig sind, zu regelmäßigen Absprachen vorladen. Außerdem sicherte Santer zu, die Abgeordneten stärker als bisher in die Entscheidungen einzubinden, und versprach, sich bei der Regierungskonferenz 1996, wenn die Entscheidungsregeln innerhalb der Union neu definiert werden, für eine Aufwertung des Parlaments einzusetzen.

Der Entwicklungsausschuß des Europäischen Parlaments ist mit diesen Zusagen nicht zufrieden und wird nach Angaben des Grünen-Abgeordneten Wilfried Telkämper geschlossen gegen die Kommission stimmen. Selbst die konservativen Parlamentarier im Ausschuß, so Telkämper, könnten Santers Kompromiß nicht akzeptieren. Das Problem, daß kein Kommissar wirklich verantwortlich sei, werde nur verlagert. Der Entwicklungsausschuß brauche einen eindeutigen Ansprechpartner, wenn die wichtige Entwicklungspolitik wirksam vom Parlament kontrolliert werden solle. Bei der von Santer angebotenen Regelung laufe die parlamentarische Kontrolle ins Leere.

Ähnlich sieht das auch die Niederländerin Nel van Dijk bei der Frauen- und Gleichstellungspolitik. Die Vorsitzende des Frauenausschusses fordert, daß dieser Bereich von einer „engagierten Persönlichkeit mit Herzblut“ wahrgenommen werde. Es sei alles andere als klar, daß Santer dieses Engagement mitbringe. Van Dijk geht davon aus, daß die Mitglieder des Frauenausschusses und Teile des Sozialausschusses ebenfalls gegen die Kommission votieren werden.

Die Mehrheit der Abgeordneten war gestern zufrieden darüber, der Kommission die Zähne gezeigt zu haben, und schien geneigt, es dabei bewenden zu lassen. Auch nationale Regierungen hätten Schwachpunkte, meinte etwa die CDU-Abgeordnete Doris Pack, das sei kein Grund für die Parlamente, sie deshalb komplett zu stürzen. Alois Berger