Rechte sickern bei den Liberalen ein

■ Die ehemalige FDP-Landesvorsitzende von Braun und Fraktionsmitglied Tolksdorf warnen vor Unterwanderung

Die ehemalige FDP-Landesvorsitzende Carola von Braun hat gestern vor einem Rechtsruck ihrer Partei gewarnt. Durch Neueintritte und geschicktes Taktieren würden mehrere Bezirksverbände auf einen rechten Kurs eingeschworen. Tempelhof sei bereits in der Hand von Anhängern des Chefs der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), Jörg Haider. Zugleich arbeite im selben Bezirksvorstand ein früherer Mitarbeiter der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ mit. Die Landesgeschäftsstelle erklärte gestern, wegen der Vorwürfe würden seit geraumer Zeit eine Reihe neuer Aufnahmeanträge geprüft. Die taz fragte dazu Michael Tolksdorf, Mitglied der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus.

taz: Auch Ihr Bezirksverband Reinickendorf scheint im Visier rechter Neuzugänge zu sein.

Michael Tolksdorf: Als Bezirks- vorsitzender beobachte ich seit längerem eine beachtliche Mitgliederbewegung hin zu einem ganz speziellen Ortsverband. Die Personen, die jetzt urplötzlich zu uns stoßen, wohnen in anderen Teilen der Stadt. Hier wird mit einem zielgerichteten und dubiosen Verfahren versucht, die Mehrheitsverhältnisse zu kippen. Das Ganze geschieht im Sinne einer Lastwagendemokratie, bei der die neuen Mehrheiten quasi von Ortsverband zu Ortsverband transportiert werden.

Wer steckt dahinter?

Die Organisatoren kommen eindeutig aus dem rechten Spektrum. Ihre politische Heimat wäre eigentlich der rechte Rand der CDU oder die Partei der „Republikaner“.

Vor kurzem hat ein rechtes FDP-Manifest aus Berlin, zu dessen Unterzeichnern auch der ehemalige Generalbundesanwalt Alexander von Stahl und Ihr Fraktionskollege Wolfgang Mleczkowski zählen, für Wirbel gesorgt. Rückt die Berliner FDP nun in nationalliberales Fahrwasser?

Die Unterzeichner haben mir glaubhaft versichert, daß ihr Manifest mit dieser Mitgliederbewegung nichts zu tun hat. Sie wollten mit ihrem Papier ein politisches Zeichen setzen.

Historisch war die Geschichte des Liberalismus ja stets eine Auseinandersetzung zwischen dem nationalliberalen und dem eher linken Flügel. Wenn es eine geordnete Streitkultur gibt, kann ein solches Manifest für die Partei sogar hilfreich sein, um ein möglichst breites Spektrum von Wählern anzusprechen.

Steht der Landesverband angesichts der Abgeordnetenhauswahl 1995 vor einem Richtungswechsel?

Bei der letzten Sitzung des Landesausschusses, dem höchsten Gremium zwischen den Parteitagen, wurde dieses Papier mehrheitlich abgelehnt. Selbst der Versuch, uns auf Landesebene den Großen Lauschangriff unterzujubeln, wurde nicht angenommen. Wir stehen vor keiner Zerreißprobe, sondern erst am Beginn einer breiten Diskussion, die ich als positiv empfinde. Interview: Severin Weiland