Lieber Torsten Lipski,

■ betr.: "Wo ist die Grenze", taz vom 6.10.94

Christian Semler bläst nicht ins gleiche Horn wie der Berliner Appell. Mit Semlers Kommentar geben wir nicht denen ein Forum, die helfen, ein Klima zu schaffen, in dem die Hatz auf ausländische Mitbürger möglich wird. Wie kommst Du zu solchen Behauptungen? Lies noch einmal, was Semler geschrieben hat.

Du ärgerst Dich über den Berliner Appell? Recht hast Du. Es ist extrem unangenehm, wie da vorwiegend gut situierte Herren aus den Chefetagen nun auch noch den Part der verfolgten Minderheit übernehmen wollen.

In dem Appell steht, darauf weist Marcus Paetzold hin, kein Wort über Mordanschläge auf Ausländer oder die bedrohliche Ausbreitung rassistischer Vorstellungen in Deutschland. Statt dessen warnen die Unterzeichner vor einer „Hexenjagd auf Konservative“. Erica Fischer hat recht: Das ist eine „maßlose Verkehrung der Verhältnisse“.

Der Appell hat einen pathologischen Zug. Da drängen sich Leute, die für gewöhnlich stolz darauf sind, es im Leben so weit gebracht zu haben, danach, als Erniedrigte und Beleidigte dazustehen. Sie treiben das so weit, ausgerechnet in der taz um Spenden für die Weiterverbreitung ihres Textes zu bitten. Wir sind sicher, daß sie auf diesem Weg nicht einmal die taz-Anzeige wieder reinbekommen.

Christian Clément hat die Sache auf den Punkt gebracht: Die taz druckt den Berliner Appell als Anzeige ab und bekämpft „publizistisch rechtskonservative Intellektuelle wie Zitelmann und nationalistische Politiker wie Lummer“. Ich kann daran nichts Verwerfliches finden. Wenn Zitelmann noch hilft, den Kampf gegen sich zu finanzieren – was wollen wir mehr?

Mit freundlichen Grüßen

Arno Widmann