„Das ist so Ansichtssache ...“

■ ... meinte Hindenburg zu dem Ausruf „Soldaten sind Mörder“ / Wir dokumentieren einen Artikel von 1932 über den ersten Freispruch in der Sache

Nur die deutschnationalen und NS-Zeitungen schrieen auf, der Rest der Presse, vom „Vorwärts“ bis zu den bürgerlichen Blättern, war erleichtert. Carl von Ossietzky, der Herausgeber der „Weltbühne“, in der Kurt Tucholsky seinen berühmten Satz geschrieben hatte, war freigesprochen. „Warum?“ fragte die „Berliner Volkszeitung“ am 5. Juli 1932. Antwort: „Drei Generalfeldmarschälle gaben den Auschlag“. Wir übernehmen den Artikel mit leichten Kürzungen. (d. Red.)

Wieder einmal stand Ossietzky für das, was ein anderer geschrieben hatte, vor Gericht. Diesmal für Kurt Tucholsky, der als Ignaz Wrobel am 1. August 1931 in der Weltbühne die Bemerkung einfließen ließ: „Soldaten sind Mörder.“ Darin erblickte die Staatsanwaltschaft eine Beleidigung der Reichswehr.

Nach dem Freispruch äußerte Ossietzky: „Es ist das erstemal, daß ich freigesprochen bin.“

Der Freispruch war gar nicht so „selbstverständlich“, wie das eine Reihe von Blättern erklärte. Politische Prozesse sind seit den Prozessen gegen Sokrates, Jesus Christus und Johann Huß nichts anderes als die Arena, in der miteinander kämpfende politische Strömungen ihre Kräfte messen. Solange eine Seite noch nicht zu 100 Prozent gesiegt hat, kann es Überraschungen geben. Dem Angeklagten kam der Strafantrag des Staatsanwaltes auf sechs Monate Gefängnis nicht überraschend. Um so überraschter über den Freispruch war anscheinend z.B. die Berliner Börsenzeitung, das Blatt der militärischen Kreise, für die jeder Pazifismus Landesverrat ist. Die schrieb, das Urteil wäre nur aus „Rechtsgründen“, also formal erfolgt, denn „jeder anständige Mensch“ würde den ja ohnehin schon zu 1 1/2 Jahren Gefängnis verurteilten Ossietzky wieder verurteilen.

Wer dem Prozeß beigewohnt hat, erkannte, warum Ossietzky freigesprochen wurde — noch einmal freigesprochen wurde. Weil die Religion vom feststehenden Taschenmesser des „Dritten Reichs“ ihre Ausstrahlung zwar bis zum Strafantrag bewirken konnte, aber nicht bis zum Urteil. Sie unterlag noch einmal der Gegenwirkung jener Menschheitsreligion, von der die verlesene Enzyklika des Papstes Benedikt XV. Stellen enthielt, über die „Schlächterei“ des Krieges, gegen die Wrobels Auslassung beinahe matt klang. Aber was Ossietzky und seine Anwälte Apfel und Olden außerdem vorbrachten an Ansprüchen der im Sinne der Börsenzeitung unanständigen Leute von Laotse über das Neue Testament bis Kant, Goethe, Herder, Wilhelm Raabe, Hoffmann von Fallersleben — bekanntlich Verfasser unseres Deutschlandliedes — und zahlreichen anderen unanständigen Leuten solcher Art, die alle Krieg und Mord und Soldaten und Mörder gleichbedeutend wörtlich setzten, das alles hätte vielleicht noch nicht jene überraschende Lockerung der Rechtsbegriffe herbeigeführt.

Dem Herrn Staatsanwalt sah man an, daß ihm diese Genien der Menschheit nicht imponieren. (...) Aber es ging ein merkbarer Ruck durch alle, als Dr. Olden nun gar einen Hohenzollern, Kaiser Friedrich III., als Sachverständigen mit einem gleichen Ausspruch aus der vierten Dimension auftreten ließ. „Na ja“, fügte Olden gelassen hinzu, „man wird sagen, der Friedrich, das war ja so ein Liberaler. Gut, hören Sie einen anderen Hohenzollern.“ Dann kam eine Auslassung, zunächst ohne Verfasserangabe, worin Soldaten mit Taugenichtsen und Henkern nicht bloß verglichen, sondern gleichgesetzt wurden ... Man kann es kaum hinschreiben — so schlimm ist es: „Ja — und — dieses ist von Friedrich dem Großen“, verriet Olden den Namen. (...) Wenn nun der geehrte Leser glaubt, daß dieses juristisch- pazifistische Drama damit seinen Höhepunkt erreichte, so irrt er sich —, wie auch der Schreiber dieses Artikels sich irrte, der bis dahin für Ossietzkys Freispruch keinen Pfennig gewettet hätte.

Denn nun kam ein lebender General selber. Nicht so einer von den bekannten „Verrätern“ á la Deimling. Sogar ein Generalfeldmarschall — nämlich der Herr Reichspräsident von Hindenburg. Olden erzählte, wie einmal unser Reichspräsident durch die Straßen Hamburgs gefahren sei, an seiner Seite der Oberbürgermeister Petersen. In die üblichen Beifallstürme der Menge tönten plötzlich Mißklänge. „Massenmörder“ ruft es vernehmlich im Chor von einer Ecke. Der Oberbürgermneister stammelt: „Es sind Irrsinnige.“ Hindenburg aber, mit der Jovialität, die wohl das Innerste seines Wesens ist, und die auch den politischen Gegner menschlich versöhnen kann, beruhigt ihn, das „wäre so Ansichtssache“.

Die Wirkung dieses „Sachverständigenurteils“ auf den Staatsanwalt übergipfelte noch die vorher gezeigte Nervosität. Er legte sich in seinen Stuhl zurück, die Augen nach oben, vielleicht geschlossen. Jedenfalls abgekämpft.

Von da an wettete ich nur noch Geldstrafe für Ossietzky.

Wenn sogar Freispruch erfolgte, so behaupte ich als Nichtjurist, daß die „Rechtsgründe“, nur die Handhabe waren, um dem inneren Empfinden des Gerichtes Ausdruck zu geben. Gewiß hat Vorführung der großen Toten der Menschheit die Unterlage gegeben. Aber den Ausschlag gaben doch drei preußische Generalfeldmarschälle, zwei Tote und ein Lebender. (...) Otto Lehmann-Rußbüldt