Ausländerbehörden melden Verzug

■ Berlin macht den Anfang: 16.000 Kriegsflüchtlinge sollen Deutschland Richtung ehemals jugoslawische Heimat verlassen. Dort werden sie kaum ankommen, denn der Transit ist versperrt. Für den einzelnen heißt..

Berlin macht den Anfang: 16.000 Kriegsflüchtlinge sollen Deutschland Richtung ehemals jugoslawische Heimat verlassen. Dort werden sie kaum ankommen, denn der Transit ist versperrt. Für den einzelnen heißt das sieben Tage Frist bis zur Illegalität.

Ausländerbehörden melden Vollzug

„Ihrem Antrag, Ihren Aufenthalt in Deutschland auch weiterhin zu dulden, entsprechen wir nicht. (...) Eine Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat ist Ihnen zuzumuten. Sofern Sie nicht innerhalb von 7 Tagen nach Zustellung dieses Bescheides ausgereist sind, werden wir Ihre Ausreise in Ihren Herkunftsstaat Jugoslawien oder in einen anderen Staat (...) zwangsweise durchsetzen“ – der formalisierte Bescheid, den Esref S. jetzt von der Berliner Ausländerbehörde ausgehändigt bekam, wirkt wie eine Überdosis Aufputschmittel: Er macht hypernervös, sorgt für Panikanfälle, raubt den Schlaf.

Das bedruckte DINA4-Blatt wird derzeit an die rund 16.000 in Berlin lebenden Bürgergerkriegsflüchtlinge aus Restjugoslawien und Kroatien ausgegeben. Ausgenommen sind nur Kroaten, die vor dem 22. Mai 1992 nach Deutschland eingereist sind. Sie bekommen eine längere, zeitlich gestaffelte Ausreisefrist. Alle anderen – Serben, Kroaten, Makedonier und Kosovo-Albaner – sollen innerhalb von sieben Tagen Deutschland verlassen. Um ihre Ausreise zu überwachen, behält die Berliner Ausländerbehörde die Pässe ein und verlangt, daß die Flüchtlinge innerhalb der Wochenfrist ein Ticket für die Heimreise vorlegen. Tun sie das nicht, wird die Abschiebungsmaschinerie in Gang gesetzt.

Was Berlin seit Anfang dieses Monats im Parforce-Ritt vorantreibt, ist beispielhaft für die bisher größte Ausweisungsaktion in der Geschichte der Bundesrepublik: In hektischer, sich selbst überfordernder Eile versuchen die Ausländerbehörden, sich den „Flüchtlingsberg“ vom Hals zu schaffen. Im Fließbandverfahren, ohne Rücksicht auf die Situation in ihrem Heimatstaat und ohne Prüfung der persönlichen Lebensumstände werden die Bürgerkriegsflüchtlinge aufgefordert, ihre Koffer zu packen. Nachdem sie monate-, teilweise sogar jahrelang geduldet worden waren, nachdem etliche hier Wohnung und Arbeit gefunden haben, sollen sie nun innerhalb einer Woche gehen. Zum Beispiel das Ehepaar K. Der 64jährige Herr K. und seine zehn Jahre jüngere Ehefrau stammen aus Kroatien und wurden dort aus einem umkämpften Gebiet evakuiert. Im August 1992 flohen sie nach Deutschland. Weil sie aus einer Krisenregion stammen, erteilte die Ausländerbehörde ihnen eine Duldung. Die Situation dort sich seitdem nicht verändert, die ausländerrechtlichen Weisungen dagegen um so mehr. Absurdität der Bürokratie: Wären die K.s drei Monate früher, vor dem Stichtag 22. Mai, eingereist, könnten sie bis 1995 bleiben. Dann gälte auch für sie der Beschluß der Länder-Innenminister, daß nämlich Flüchtlinge aus besetzten oder zerstörten Gebieten vorerst nicht abgeschoben werden. Wo sie nach einer Rückkehr aus Kroatien leben sollen, wissen die K.s bis heute nicht.

Gehen soll auch die serbische Familie S. Bis zu ihrer Flucht haben sie ausschließlich in Kroatien gelebt. Dorthin können sie jetzt nicht mehr zurück. Doch Serbien, wohin sie nun ausreisen sollen, ist nur auf dem Papier ihre Heimat.

Keine Chance auch für den 22jährigen Sanel Z. 1992 floh der Muslim aus dem Sandžak aus der Militärschule von Sarajevo, wo er bis dahin eine Ausbildung machte. In seinem Heimatort Priboj an der serbisch-bosnischen Grenze wurde er als „muslimisches Schwein“ verprügelt. Als man ihn wieder einberief, ist auch er geflohen. Das Ehepaar K. aus Kroatien, die Familie S. aus Serbien und Sanel Z. aus dem Sandžak gehören zu denen, die jetzt auf eine Gnadenfrist hoffen. Zu Hunderten drängen sich täglich Bürgerkriegsflüchtlinge mit Ausreiseverfügungen in den Berliner Ausländerberatungsstellen. Alle setzen darauf, daß ein schriftlicher Antrag beim Verwaltungsgericht die Abschiebung noch einmal hinausschiebt. Wenigstens bis zu einer Entscheidung wäre ihr Aufenthalt dann gesichert – und bisher lassen sich die restlos überlasteten Gerichte mit ihren Bescheiden Zeit.

„Die versuchen, die Flüchtlinge weichzukochen“, nennt Rechtsanwältin Elisabeth Reese aus der Asylberatungsstelle der Kreuzberger Heiligkreuz-Gemeinde dieses Vorgehen der Behörden. Bei etlichen ist die nervenzehrende Behördentaktik offenbar aufgegangen. Rund 50 Flüchtlinge weisen jeden Tag fristgerecht und „freiwillig“ ihr Heimreiseticket bei der Ausländerbehörde vor – teils weil sie aus befriedeten Gebieten stammen und in Deutschland eh keine Perspektive mehr sehen, teils weil sie wissen, daß sie nach einer zwangsweisen Abschiebung fünf Jahre lang nicht mehr in die Bundesrepublik einreisen dürfen.

Ob die Menschen allerdings tatsächlich gehen, ist fraglich. Die Ausländerbehörde kann zwar anhand der Grenzübertrittsbescheinigungen feststellen, ob ein Flüchtling wirklich ausgereist ist oder nicht. Doch der Abgleich dieser Daten erfordert einen Arbeitsaufwand, der kaum zu leisten ist. Die Chancen, unerkannt in die Illegalität unterzutauchen, sind daher nicht schlecht.

Doch auch wer sich tatsächlich zur Rückkehr in die Heimat entschlossen hat, gelangt nicht ohne weiteres dorthin. Bei vielen wird der Heimweg schon an der tschechischen oder österreichischen Grenze enden. Denn die Ausländerbehörden haben die Bürgerkriegsflüchtlinge zwar zur Ausreise verpflichtet, aber sich nicht darum geschert, auf welchem Wege diese Reise überhaupt vor sich gehen kann. Eine Rückkehr nach Serbien oder in den Kosovo beispielsweise ist bestenfalls auf dem Landweg möglich. Und der führt durch andere Transitländer. Die aber verweigern die Durchreise, aus Sorge, die Flüchtlinge könnten zu Tausenden bei ihnen stranden.

Die tschechische Republik etwa, so ergaben Nachfragen der taz bei der zuständigen Botschaft in Bonn, erteilt nur dann Visa an Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien, wenn die eine gültige Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik vorweisen können. Doch gerade diese Erlaubnis haben die deutschen Behörden ihnen gerade entzogen. Abgeschobene Flüchtlinge, so die Auskunft, erhielten generell keine Einreiseerlaubnis. Auch Österreich knüpft die Durchreise an ein Visum. Ob ein Flüchtling das aber auch bekommt, hänge, so die österreichische Botschaft, von „einer präzisen Einzelfallprüfung“ ab. Und das kann dauern.

Die deutschen Behörden gehen mit enganliegenden Scheuklappen vor: Man meldet zufrieden Vollzug und überläßt die Flüchtlinge sich selbst und der Illegalität. Sie fallen aus der Ausländerstatistik und der Sozialhilfe heraus – auch eine Erfolgsmeldung im Wahljahr. Vera Gaserow