Keine einseitige Liebe

■ Litauens Präsident Brazauskas über die Beziehungen zu Rußland und der EG

Algirdas Brazauskas wurde 1989 litauischer KP-Chef. Wenig später trennte sich die KP Litauens als erste von der KPdSU und unterstützte die Forderung der Volksbewegung Sajudis nach nationaler Unabhängigkeit. Im vergangenen Winter wurde der Vorsitzende der „Litauischen Demokratischen Arbeiterpartei“ zum Staatspräsidenten gewählt.

taz: In vielen Republiken der Ex-UdSSR wächst die Furcht vor dem Einfluß Rußlands. Nun fordern auch die konservativen Oppositionsparteien Litauens, die wirtschaftliche Verflechtung des Landes mit der GUS zu reduzieren.

Brazauskas: Wir erhalten über 80 Prozent der Rohstoffe aus dem Osten und exportieren nur zehn Prozent unseres Bruttonationalprodukts nach Westen. Wir würden diese Zahl gern steigern, doch das geht nicht über Nacht. So liegt unser Markt derzeit in Rußland. Die Energielieferungen von dort müssen wir zu Weltmarktpreisen bezahlen, andere Lieferungen immerhin nur zur Hälfte dieses Preises.

Wie werden Sie zwischen Nato und EG einerseits und Rußland andererseits die Balance halten?

Die Beziehungen zu Rußland haben sich etwas gebessert. Die russischen Truppen werden in drei Monaten unser Land verlassen haben. Allerdings ist die Lage dort weniger stabil als hier. Ich habe starke Zweifel, ob sich eine dritte Macht fände, die uns im Konfliktfall beschützen würde. Dagegen würde eine starke Wirtschaft in unserem Land auch auf Rußland Eindruck machen. Unser Ziel ist, gleichzeitig mit Estland und Lettland assoziiertes EG-Mitglied zu werden. „Einseitige Liebe“ ist bei unserer geographischen Lage nicht ratsam. Entstehen sollte ein System kollektiver Sicherheit, in das auch die Nato und die GUS eingebunden sein sollten.

Doch eine unbekannte Zahl russischer Soldaten steht weiterhin im Gebiet von Königsberg, das die Litauer manchmal als „Klein-Litauen“ bezeichnen...

Es stimmt, dort stehen 140.000 Mann, die Flotte nicht mitgerechnet. Das Gebiet war aber nie ein Teil Litauens. Daß dort baltische Stämme gelebt und im 18. und 19. Jahrhundert viele litauische Intellektuelle dort studiert haben, ist eine andere Sache. Heute gibt es dort einen Hafen, den man ausbauen und für den Ost-West-Handel in großem Umfang nutzen sollte.

Wie erklären Sie sich Ihren großen Wahlerfolg?

Ein Grund liegt wohl darin, daß mich niemand für einen Kommunisten gehalten hat, auch wenn ich manchmal als solcher bezeichnet werde. Die litauische KP hatte doch nur drei Prozent echte Kommunisten, der Rest waren einfache Mitglieder. Und in der Zeit des Stalinismus waren die Neuankömmlinge aus Rußland in der Mehrheit, nur 18 Prozent der Parteimitglieder waren Litauer. Mein Vater war vor dem Krieg Beamter, war auch in der Tautininkai (der nationalistischen Bewegung des Diktators Smetona, d. Red.). Solche wie ich, gab es viele. Wer hätte denn Litauen verwaltet, wenn nicht wir? Nur so haben wir Kultur und Sprache bewahren können.

Wo sehen Sie die Ursache für die Niederlage Ihres Vorgängers Landsbergis?

Politisch hat Landsbergis die Menschen nicht gleich behandelt. Ich bin dagegen, sie aufzuteilen in Gute und Böse. Wer gegen die KP war oder notgedrungen mitgemacht hat, wer an der Ermordung von Juden beteiligt war und so weiter. Wir hatten eine schwierige Geschichte, man muß die Menschen nehmen, wie sie sind. Ich will alle einigen. Oft ist es, wie im Falle der KGB-Strukturen, auch schwer, Schuldige und Unschuldige auseinanderzuhalten. Wer allerdings persönlich schuldig ist, der soll sich vor dem Gesetz verantworten. Interview: Wulf Schmiese