Oh Gott, Scholl-Latour!

Die unglaublichen Geschichten des Nahost-„Experten“ Peter Scholl-Latour  ■ Von Alexandra Senfft

Solange sich gewalttätige Auseinandersetzungen fern in der islamischen Welt abspielten und unser sogenanntes zivilisiertes Leben im Westen nicht weiter störten, konnten uns die dortigen Entwicklungen bislang relativ gleichgültig sein. Doch beginnend mit dem zweiten Golfkrieg gehen die wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme im Orient und die damit einhergehenden terroristischen Anschläge nicht mehr ausschließlich nur die anderen an. In anderen europäischen Ländern hat vor allem die Kolonialvergangenheit von jeher zur Auseinandersetzung mit der arabischen Welt geführt. Doch in der BRD ist dies bislang allein eine Domäne der Experten bzw. vermeintlichen Experten gewesen.

Als solcher hervorgetan hat sich allen voran der Bestseller-Autor Peter Scholl-Latour. Bekannt geworden ist er vor allem durch seine Bücher und Fernsehbeiträge über den Nahen Osten. Aber auch als Frankreich-, Asien- oder Rußlandkenner tritt er auf. Nachdem sein Kollege, der „Nahost-Kenner“ Gerhard Konzelmann, vergangenes Jahr des Plagiats, der Hochstapelei und der verantwortungslosen Panikmache überführt worden war, ist Scholl-Latour in seinen Aussagen vorsichtiger geworden.

Scholl-Latour ist jedoch weitaus schwieriger beizukommen als dem Trivialautor Konzelmann. Der 69jährige, der in der Öffentlichkeit als „seriös“ gehandelt wird, versteht es, mit Allgemeinbildung zu bestechen und den richtigen Ton anzuschlagen, sei es in „Expertenrunden“, unter Politikern oder in Gottschalks Late Night Show. Schließlich weiß der ehemalige Stern-Herausgeber und Chefredakteur sowie ZDF-Korrespondent eine einflußreiche Lobby hinter sich.

Jetzt ist ein Buch auf den Markt gekommen, das kräftig aufräumt mit dem Image Scholl-Latours. In „Das Schwert des ,Experten‘ – Scholl-Latours verzerrtes Araber- und Islambild“ analysieren Islamwissenschaftler und Studenten, Journalisten und ein Erziehungswissenschaftler den Scholl-Latourschen Stil der Berichterstattung. Überzeugend kommen sie zu dem Ergebnis, daß die Schriften des Journalisten, anstatt Wissen zu vermitteln und aufzuklären, Vorurteile und Ängste schüren sowie das Bild des Islam und der Araber verzerren.

Symptomatisch war, daß Die Woche schon lange vor Erscheinen des Buches eine Rezension veröffentlichte, die undifferenziert negativ ausfiel. Auf die Materie kaum eingehend, vermittelte der Kritiker den Eindruck, als hätten hysterisierte Orientalisten, neidisch über Scholl-Latours Erfolg, einzig das Ziel, einen unliebsamen Konkurrenten auszustechen.

Doch weit gefehlt: Der von zwei Hamburger Islamwissenschaftlerinnen herausgegebene Band bietet durchaus mehr als nur die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem „Kollegen“. Ihre Analyse von Scholl-Latours Büchern und seiner im ZDF ausgestrahlten Serie „Das Schwert des Islam“ ergibt, daß sich Scholl-Latour des Stils „eines konventionellen Romanerzählers“ und einer Sprache bedient, die negative Assoziationen und Stimmungen hervorruft. Durch den häufigen Gebrauch biblischer Termini und von Tiermetaphorik, um Araber bzw. Muslime zu beschreiben, sowie durch die Hervorhebung vermeintlich „rassischer Attribute“ schafft Scholl-Latour scheinbar unüberbrückbare kulturelle Gegensätze.

Wie fragwürdig das Produkt eines Journalisten sein kann, der sich als Historiker gebährdet, ohne sich in einem klar definierten literarischen Genre zu bewegen, beschreibt der wohl wichtigste deutschsprachige Nahost-Journalist, der ehemalige Korrespondent der Neuen Züricher Zeitung, Arnold Hottinger. Seine Analyse: Wenn der zum „Quasi-Historiker aufgerückte Berichterstatter“ mehr seinem Instinkt als Fakten folge, mythologisiere und stigmatisiere er die Muslime, „als ob sie an allen Orten und zu allen Zeiten gleich wären, als ob es eine islamische Essenz gäbe, ewig und unveränderlich“. Dadurch entstehe der Eindruck von einem „Ur-Islam“, der einem „Ur-Europa“ unversöhnlich gegenüberstehe. Bei Politikern nenne man eine solche Feindbild-Schaffung Demagogie, für Berichterstatter aber gebe es noch keine entsprechende Bezeichnung. Hottinger kritisiert aber auch die deutschen Orientalisten: Zu lange hätten sie sich geweigert, die Verantwortung für das allgemeine Orientbild zu übernehmen. Indem sich die Professoren hinter wissenschaftlich-verquasten Texten vor der Öffentlichkeit versteckten, hätten sie den „Informationsdemagogen“ das Feld überlassen.

Dem noch zweifelnden Leser sei eine Satire zu empfehlen, verfaßt von zwei Studenten der Islamwissenschaft. Sie bedienen sich des Scholl-Latourschen Stils, drehen dabei den Spieß jedoch um und lassen einen „arabischen Nahwest- Experten“ über Europa berichten:

„Dumpf und monoton dröhnten die Kirchenglocken der christlichen Gemeinde im Gotteshaus zu Paderborn ... Bedrohlich, obskur, ja fast apokalyptisch wirkte das Orgelspiel im Inneren; eine bucklige Gestalt hämmerte fanatisch auf das Instrument ein, damit die Gläubigen – überwiegend blond und blauäugig – in ekstatischen Rhythmen und zu düsteren Gesängen ihrem Herrn huldigen konnten. Es war Sonntag, und der Pfarrer, ein ganz in schwarz gekleideter Patriarch, stand auf der Kanzel, um das Gebet vorzusprechen, das die Gläubigen als raunender Chor wiederholten.“

Karin Hörner/Verena Klemm (Hrsg.): „Das Schwert des ,Experten‘“. Palmyra Verlag, Heidelberg 1993. 290 Seiten, DM 29.80