■ Die Linke hat das politische Strafrecht entdeckt
: Mit Demokratieabbau gegen Rechts?

Ein Ruck geht durch die Republik. Alle wollen dem Rechtsradikalismus entschlossen begegnen. Linke und Rechte rufen gemeinsam nach dem starken Staat. Die Scharfmacher fordern neue Gesetze gegen Rechts. Die „Besonnenen“ halten die volle Ausschöpfung der bestehenden Gesetze für ausreichend. Aber kaum jemand – Linke und Liberale eingeschlossen – fragt noch, welche Gesetze da so entschlossen angewandt werden sollen.

Keine Frage, daß Brandstiftung, Körperverletzung, Mord und andere Verletzungsdelikte unabdingbare Verbotsnormen sind. Wo Gewalt ins Spiel kommt, endet die Toleranz der Zivilgesellschaft. Hier hat die Polizei Schutz zu gewähren. Wo die Kräfte nicht reichen, hat Verstärkung präsent zu sein. Konsequenz ist dann auch seitens der Gerichte zu erwarten. Ein Mord hat als Mord bestraft zu werden, nicht als „Körperverletzung mit Todesfolge“. Wo es um Verhinderung und Bestrafung von Gewalt geht, ist der Forderung nach konsequenter Anwendung der Gesetze voll und ganz zuzustimmen. Die rechtzeitige Beachtung dieser Selbstverständlichkeiten hätte die Gewaltwelle vielleicht schon im Ansatz stoppen können.

Wie aber steht es mit dem politischen Strafrecht? Bis voriges Jahr stritten wir entschieden dafür, Bestimmungen wie den § 129a StGB (terroristische Vereinigung) wegen ihrer Uferlosigkeit zu streichen. Heute klagen viele, daß genau dieser Paragraph gegen die RechtsextremistInnen viel zu lax angewendet werde.

Das ist symptomatisch: Die Linke hat das politische Strafrecht für sich entdeckt. Auch Partei-, Vereins- und Demonstrationsverbote stehen hoch im Kurs. Eine Differenzierung zwischen Verletzungsdelikten auf der einen Seite und bloßen Organisations- und Meinungsdelikten auf der anderen Seite findet nicht mehr statt.

Statt dessen stellen viele die Gründung einer (rechtsextremen) Partei und die Verteilung eines (rechtsextremen) Flugblatts mit Brandanschlägen auf Asylheime gleich, indem sie von „politischer“ oder „geistiger Brandstiftung“ sprechen. Wer so argumentiert, verabschiedet sich vom Konzept einer Demokratie mit möglichst unbeschränkter gesellschaftlicher Debatte.

Blicken wir zurück auf den „Deutschen Herbst“ 1977. Für „geistige Urheberschaft“ (Strauß) der RAF-Anschläge machte man Leute wie Gollwitzer, Brückner, Grass und Böll verantwortlich, deren „mit sauberen Fingern auf unschuldigem Papier niedergelegte Theorien die Baaders zu mörderischen Konsequenzen getrieben haben“ (CDU-MdB Wohlrabe). Diese „Sympathisanten“ hätten „zwar nichts getan; sie haben nur nachgedacht. Daß das Denken eine bestimmte Richtung begünstigt: was kann der Denker, was kann der Schreiber dafür? Er kann dafür“ (FAZ-Leitartikel). Wollen wir eine neue „Sympathisantenhatz“? Oder wollen wir das Konstrukt der „anschlagsrelevanten Themen“, das die Bundesanwaltschaft im Prozeß gegen die Emma- Journalistin Ingrid Strobl vor vier Jahren entwickelte, nun unsererseits kultivieren? Viele derjenigen, die heute den FaschistInnen „keinen Fußbreit“ zubilligen wollen, stehen sonst ganz oben auf der Abschußliste des Staatsschutzes; was sie offensichtlich nicht daran hindert, dessen Ausgrenzungs-Ideologie nahtlos (nur mit anderen Vorzeichen) zu übernehmen.

Früher haben wir uns über die Mietverträge mit den besetzten Häusern in der Hamburger Hafenstraße empört, wonach alle Mieter betroffen sein sollten, wenn einzelne Straftaten begingen. Heute argumentieren viele Antifas mit dem gleichen Sippenhaft-Gedanken: Wenn ein Mitglied einer rechten Gruppierung einen Brandanschlag begeht, dann muß gleich die ganze Organisation verboten werden. Die Kritik an der herrschenden Theorie, daß rechte Gewalttaten in der Regel von Einzeltätern begangen würden, kann nur dadurch stichhaltig werden, daß man eine gemeinsame Planung und Ausführung belegt. Statt dessen Parteimitgliedschaften der Täter aufzuzählen ist kaum mehr als Demagogie.

Können wir wirklich akzeptieren, daß die „Aberkennung von Grundrechten“ (Art. 18 GG), die in der bisherigen Geschichte der BRD noch nie praktiziert wurde, künftig zum politischen Alltagsrepertoire gehört? Soll die „Freiheit der Andersdenkenden“ etwa ein linkes Privileg sein? Wir können doch nicht die Diskussion über ein Einwanderungsgesetz fordern und dann den (rechten) GegnerInnen einer derartigen Entwicklung gleichzeitig die Kriminalisierung androhen. Oder sind wir „SchönwetterdemokratInnen“, die zur Zivilgesellschaft ein ebenso taktisches Verhältnis haben wie der Kanzler zur Verfassung?

Wer eigene Ekelgefühle angesichts bestimmter Pamphlete zum Maßstab des polizeilichen Eingreifens macht, fordert letztlich nichts anderes als Gesinnungsjustiz.

Es fällt schwer, dies gegenüber AusländerInnen, JüdInnen und anderen Betroffenen zu vertreten. Aber auch den Zielen linksradikaler Agitation haben wir bisher einiges zugemutet, wenn wir uns etwa dafür eingesetzt haben, daß pubertär-martialische Sprüche wie „Haut die Bullen platt wie Stullen“ nicht zu Straftaten aufgeblasen werden.

Ein effektives politisches Mittel kann die Ächtung des rechtsradikalen Lagers ohnehin nicht sein. Die Medienwirkungsforschung lehrt uns, daß die Äußerung extremer Inhalte durch Außenseiter nur zu deren weiterer Stigmatisierung führt. Ein Thema auf die Tagesordnung zu setzen kann dagegen nur in einem relativ gleichgeschalteten gesellschaftlichen Klima gelingen. Können wir aber erwarten, daß Kohl, Waigel und Seiters künftig der Zensur unterworfen werden? – Sicher nicht. Vielmehr sind sie die Zensoren, die sich unter dem Beifall von Teilen der Linken ein ausländerfreundliches Mäntelchen umhängen können. Was bleibt, ist – wie bei so vielen Law- and-order-Kampagnen – symbolische Politik.

Auf weitere taktische Argumente (zum Beispiel bessere Überwachbarkeit, Vermeidung von Solidarisierungseffekten), die ebenfalls gegen eine repressive Vorfeldstrategie sprechen, will ich hier nicht eingehen. Denn es geht mir nicht um polizeiliche Taktik und Strategie, sondern um die Kritik einer – diesmal von der Linken ausgehenden – weiteren Stärkung autoritärer Gesellschaftsentwürfe.

Wer mit der Einschränkung von Meinungs- und Vereinigungsfreiheit auf den gesellschaftlichen Rechtsruck reagieren will, zeigt keine demokratischen Alternativen auf, sondern trägt sein Quantum zur Vertiefung dieses Rechtsrucks bei. Der gesellschaftliche Diskurs wird so letztlich auf die Frage reduziert, wer die Macht hat, die andere Seite von diesem Diskurs auszuschließen.

Die Freiheit zu veröffentlichen und die Freiheit zu lesen sorgen nicht notwendigerweise für eine Gesellschaft der Gerechtigkeit und des Friedens. Aber ohne diese Freiheiten bietet eine Gesellschaft überhaupt keine Garantien (Camus). Christian Rath

Mitglied im SprecherInnenrat des „Bundesarbeitskreis kritischer Juragruppen“ (BAKJ)