Mielke vs. Janka-betr.: "Opfern wird ein Maulkorb verpaßt", Leserbrief von Dr. Michael Naumann, Rowohlt Verlag, taz vom 7.12.92

betr.: „Opfern wird ein Maulkorb verpaßt“, Leserbrief von Dr.Michael Naumann, Rowohlt Verlag, taz vom 7.12.92

In Presseberichten, die von Walter Janka und seinem Verlag ausgehen, und in einem Leserbrief eines Rowohlt-Vertreters in der taz wurde Gericht und Mielkes Anwälten vorgeworfen, ein Buch von Janka verboten zu haben. Die Pressefreiheit soll außer Kraft gesetzt worden sein, und Janka sowie viele andere Opfer Mielkes sollen durch den Richterspruch verhöhnt worden sein. Es wurde sogar der Verdacht laut, daß die Berliner Richter willfährig Mielkes Anträge umsetzten. Nun wissen wir es besser: Die Richter haben sich eines besseren besonnen und Janka den bereits verloren geglaubten Prozeß gewinnen lassen.

Dazu stelle ich folgendes fest: Janka hat – unter Berufen auf persönliche Erlebnisse – behauptet, Mielke habe ihn 1937 in Murcia rauchend verhört und ihn in ein Gefängnis der internationalen Brigaden stecken wollen, und Mielke sei NKWD-Beauftragter gewesen. Mielke erklärt dazu: Das persönliche Erlebnis Jankas beruht entweder auf einer Personenverwechslung oder ist frei erfunden. Er habe niemand in Spanien verhört, er habe nie geraucht, und er sei kein NKWD-Beauftragter gewesen. Wenn man von den beteiligten Personen absieht, handelt es sich um einen Allerweltsfall: Einer behauptet über einen anderen etwas. Bestreitet der die Richtigkeit des Behaupteten, trifft die Beweislast den Behauptenden. So hat auch das Gericht den Fall – zunächst – gesehen. Darf man aber einen Fall anders entscheiden, nach anderen Beweislastregeln und verändertem Recht, nur weil der eine Beteiligte eine Symbolfigur eines Unrechtsstaates, der andere (auch) ein Opfer dieses Staates war? Gerechtigkeit muß ohne Ansehen der Personen entstehen, oder nicht?

Übrigens ist es völlig falsch, wenn Mielke oder dem Gericht unterstellt wird, ein Buch verboten zu haben. Es geht bei dem Prozeß um einige Sätze, die verändert oder geschwärzt werden sollten. Mielke hätte sogar die weitere Verbreitung der beanstandeten Behauptungen genehmigt, wenn in die noch nicht verkauften Bücher seine Stellungnahme zu den von ihm beanstandeten Äußerungen eingelegt worden wäre. Und die historische Wahrheit? Janka beruft sich auf Kantorowicz. Der aber schreibt 1965 in einem Vorwort selbst, er wisse jetzt erst (woher?) von dem angeblichen Treiben Mielkes in Spanien. Zu Zeiten des antifaschistischen Kampfes in Spanien hat Kantorowicz also derartige Erkenntnisse nicht gewonnen. Und ein anderer Autor, auf den sich Janka beruft, gewinnt seine Vermutung, Mielke sei Geheimdienstmann in Spanien gewesen, aus seiner angeblich engen Zusammenarbeit mit Ulbricht. Historiker aber wissen lediglich von einem Aufenthalt Ulbrichts Ende 1936 in Spanien, ohne daß bekannt wäre, daß dieser dort Geheimdienstaufgaben wahrgenommen hätte.

Schließlich: Janka selbst beruft sich auf eigene Erinnerungen und hat Details seines Erinnerungsbildes wiedergegeben, die von Mielke behaupteten Eigenschaften einfach widersprechen, nämlich daß Mielke geraucht hat. Und Janka, der zunächst die Behauptung, Mielke sei NKWD-Beauftragter gewesen, als Schlußfolgerung zu erkennen gegeben hat, gewinnt offenbar mit zunehmender Prozeßdauer ständig an Sicherheit für diese Behauptungen. Heute ist er sich – zitiert nach einem Boulevardblatt aus dem Hause Springer vom 7.12.1992 – sicher, daß Mielke NKWD-Mann war. Wieso eigentlich? Mielke war zu dem Zeitpunkt 1937 kein bekannter, kein wichtiger, kein mächtiger Mann. Er sagt, er hat nie in seinem Leben geraucht. Janka wiederum hat keinerlei authentische Quelle für seine Behauptung vorgelegt. Wieso soll kein Zweifel daran erlaubt sein, daß Jankas Schilderung das Zusammentreffen mit einem Mann wiedergeben, der zirka 30 Jahre alt war und rauchte, aber nicht Mielke war, wenn die Schilderungen überhaupt eine reale Grundlage haben? Wenn es aber zumindest zweifelhaft ist, was Janka über Mielkes Rolle in Spanien verbreitet, wieso soll es Mielke verwehrt sein, diese ihm zugeschriebene Rolle zurückzuweisen? Was hat das mit einem Angriff auf die Pressefreiheit zu tun? Es gibt, das weiß jeder Journalist, die Verpflichtung, Behauptungen auch belegen zu können. Den Vorwurf, Mielke sei ein NKWD-Mann gewesen, muß – so glaubte die juristische Fachwelt im Einklang mit der 27.Zivilkammer des Berliner Landgerichtes bis zum 8.12.1992 zu wissen – nach geltendem Recht Janka belegen, wenn er ihn erhebt: Schließlich war niemand „NKWD-Beauftragter“, ohne urkundliche Spuren zu hinterlassen.

Seit dem 8.12.1992 wissen wir, daß Erich Mielke „Sonderrechte“ in unserem Land genießt: Er ist wohl der einzige in unserer Rechtsordnung, der zu beweisen hat, daß ehrabträgliche Äußerungen über ihn unwahr sind. Johannes Eisenberg,

Rechtsanwalt, Berlin