Komm, laß die hier quatschen

■ Bei den Münchner Medientagen wollten nur die Vertreter der Öffentlich-Rechtlichen über Kreativität reden

„Zum Teufel, wo bleibt das Kreative?“ Nicht wie üblich eine Handvoll, sondern fünf Referenten und 125(!) Experten waren im Programmheft der Münchner Medientage zur Klärung dieser Frage angekündigt. Während der New Yorker Medienkritiker Neil Postman das „Technopol“ (Titel seines aktuellen Buches) beklagte und Drehbuchautor Horst Pillau „schlechte Zeiten für die Phantasie“, beobachteten wir RTLplus- Chef Helmut Thoma samt Begleitung beim eiligen Verlassen des Veranstaltungsortes: „Komm, laß die hier quatschen. Wir gehen.“ Seine kommerziellen Kollegen waren gleich ferngeblieben.

Die Kreativität, so wissen wir hinlänglich, ist vor allem im deutschen Privatfernsehen dem Zufall überlassen. Und sonst? Schlägt sie auch bei den Öffentlich-Rechtlichen ein wie der Blitz, weil sie sich bisweilen halt gar nicht vermeiden läßt? So negativ das Bild auch aussieht, das Postman für die deutsche TV-Zukunft zeichnete, im Augenblick sieht er noch Hoffnung: Der Unterschied zwischen US- und deutschen Produktionen liegt für ihn darin, daß US-Fernsehmacher glaubten, es sei nicht mehr notwendig, das Beste zu liefern: Das Publikum sei es nicht wert.

Horst Pillau beklagte, daß die Kreativen nicht mehr wichtig seien. Dies sehe man an den Medientagen selbst. Sie seien „ein Festival der Frequenzen, Lizenzen und Summen, der Ware Fernsehen“. Junge Autoren fragten zu wenig nach künstlerischen Problemen, sondern nur danach, wie sie Zugang zum Medium fänden. An der Spitze der ersten Nachkriegsanstalten hätten weitgehend Schriftsteller, Dichter und Lyriker gestanden, heute konzentriere sich die Thematik auf Etat und Sponsoren. Er beklagte die Diktatur des kleinsten gemeinsamen Nenners: Zu viele Menschen seien bei TV- Spielen beteiligt. „Jeder Mitbestimmende reduziert den Stoff um das Quantum Phantasie, das er nicht besitzt oder das er nicht nachvollziehen kann.“

Die Verantwortlichen von ZDF und Bayerischen Rundfunk verteidigten sich mit der Anzahl ihrer Produktionen. Horst Schättle (SFB) sagte indes, sein Sender könne sich nur noch eine oder zwei Fernsehspiele jährlich leisten, früher seien es sieben gewesen. Krimi-Autor Herbert Reinecker sagte, das Fernsehen genüge nicht, es kläre nicht auf. So scheint es sich oft genug auch mit den Diskussionen der Medientage zu verhalten. Sie genügen nicht, weil sie nicht auf-, sondern verklären. Sie suggerieren, daß es jede Menge Probleme gibt in diesem Geschäft. Stimmt. Aber sie suggerieren auch, daß es in den Anstalten jede Menge Leute gibt, die an deren Lösung interessiert sind. Thomas Schuler