„Wobei die SA außerordentlich wertvolle Hilfe geleistet hat“

■ Die Geständnisse von 1933, die mit SA-Methoden erzielt worden sind, werden heute von der Moabiter Staatsanwaltschaft übernommen und zur Grundlage des Verfahrens gemacht

Die Voruntersuchung in der Mordsache „Bülowplatz“ hatte 1931/32 zu keiner Anklageerhebung geführt; obwohl insgesamt mindestens 15 polizeiliche oder gerichtliche Ermittlungen in dieser Sache durchgeführt worden waren, fiel der Name „Mielke“ nirgends.

1933 erwacht Deutschland, mithin auch die (Berliner) Justiz. Nun warf sie „die Fesseln der Systemzeit“ ab, führte unerledigte Prozesse einer Erledigung zu und nahm bereits abgeschlossene, aber im Ergebnis unbefriedigende Verfahren wieder auf. Neben den „großen Bestechungsskandalen“ (gegen Juden und „Systemgrößen“) waren das vor allem Kapitalverbrechen, die den Kommunisten zugeschrieben werden konnten: So die Erschießung des SA-Sturmführers Horst Wessel (1930); der gewaltsame Tod des Gastwirts des SA- Sturmlokals in der Neuköllner Richardstraße (1931) und vor allem die Erschießung der Polizeihauptleute Lenck und Anlauf auf dem Bülowplatz (1931).

Als der „Bülowplatz-Prozeß“ im Juni 1934 in Moabit begann, standen dort, dank nun plötzlich erfolgreicher Ermittlungen, 15 Angeklagte wegen Mordes pp. vor Gericht. Man schrieb das „Jahr II der Deutschen Revolution“. Inzwischen hatten SA und SS (als Hilfspolizei) in Zusammenarbeit mit Polizei und Gestapo mit den politischen Gegnern abgerechnet: 15.000 Polizeihäftlinge und 250 politische Morde allein in Preußen von Februar bis Mai 1933.

Zur gleichen Zeit bildeten das preußische Justizministerium (Hanns Kerrl, Roland Freisler), das Reichsjustizministerium, der Reichsminister des Innern unter Federführung des preußischen Ministerpräsidenten und (bis 1934) Innenministers Hermann Göring einen Großen Krisenstab, der das Strafprozeßrecht und die Rechtspraxis bis zur Verkündung des sogenannten Volksgerichtshof-Gesetzes (1934) mit den Möglichkeiten des Notverordnungsparagraphen 48 im Verordnungswege den Erfordernissen der neuen Zeit fortlaufend anpaßte. Nun waren Strafverfahren mit Aussicht auf raschen Erfolg durchführbar.

Diese Änderungen des Strafprozeßrechts gelten heute als Beginn der „Pervertierung des Rechts im Nationalsozialismus“. Prozesse wie der Bülowplatz-Prozeß waren Paukböden der kommenden politischen Gerichtsbarkeit und für die beteiligten Juristen Bewährungsprobe für die eigene Karriere im neuen Staat.

Der Vorsitzende Richter im Bülowplatz-Prozeß, Landgerichtsdirektor Dr.Walter Böhmert, hatte sich bereits bei der Abstrafung der Berliner Mai-Demonstranten von 1929 als Vorsitzender des Schöffengerichts Wedding einen Namen gemacht und im berüchtigten „Felseneck“-Prozeß (1932) den Vorsitz geführt. Zuletzt amtierte er (1943-45) als Vorsitzender des Sondergerichts III beim Landgericht Berlin, das für „Verdunkelungsvergehen“ und gegen „Judenhelfer“ drakonische Strafen aussprach.

Im Reichstagsbrand-Prozeß hatte der Zeuge Goebbels 1933 in seiner Aussage beklagt, wie lässig das ehemalige Berliner Polizeipräsidium gegen Rotmord vorgegangen sei, erweise sich dadurch, daß jetzt diese Prozesse in Moabit stattfänden, die eigentlich vor ein, zwei Jahren hätten stattfinden müssen. Herman Göring an derselben Stelle: „In jedem Vorort, in jeder roten Hochburg, in den Hinterhöfen der Berliner Mietskasernen kämpfte unsere SA einen furchtbaren Kampf gegen diese roten Banditen. Dort wurde die Schlacht geschlagen! Die kannten sich auch genau gegenseitig. Das, was die unfähige politische Polizei des Herrn (Polzeipräsidenten, HDH) Grzesinski nicht wußte, oder besser gesagt nicht wissen wollte, das wußten unsere SA-Leute; sie wußten genau: Das ist ein Rotfrontkämpfer, der hat hier schon zwei bis drei Morde auf dem Gewissen, das ist einer, der schon soundso oft auf unsere Leute geschossen hat. (...) Es war selbstverständlich, daß ich nicht nur diese große Kenntnis, sondern auch die Leidenschaft dieser Leute einsetzen mußte, die ja dafür eintraten, daß diese furchtbare Gefahr für unser Volk nun endlich überwunden wäre.“

Bei der SA-Gruppe Berlin-Brandenburg arbeitete unter Leitung des SA-Obergruppenführers Kerrl ein juristischer Stab, der 1933 an der Spitze von SA- und SS- Kommandos eine „Verhaftungswelle“ auslöste. Der unübersehbaren erzählenden und berichtenden Literatur, die über diese „Verhaftungswelle“ geschriebenen wurde, sind Begriffe gemeinsam wie Razzia, Haussuchung, Beraubung, Entführung, Verschleppung, Prügel, Folter, Mord und Totschlag. Seriöse Namen wie Hans Litten, Erich Mühsam und Ernst Friedrich sind heute respektabel-beklagenswerte Opfer dieser staatlichen „Verhaftungswelle“, während aus dem Polizeigefängnis Alexanderplatz oder dem Untersuchungsgefängnis Moabit „entführte“ und in Nikolassee oder Freienwalde erledigte Kommunisten namenlos sind.

Ab August 1933 wurde eine „Zentralstaatanwaltschaft“ als Sonderreferat des (preußischen) Justizministeriums gegründet, von der es heißt, daß sie Geständnisse anders als mit SA-Methoden erzielte. Allerdings waren da die Geständnisse für den Bülowplatz-Prozeß schon im Kasten. Als im September 1934 das Denkmal für die Polizeioffiziere Lenck und Anlauf eingeweiht wurde, hieß es über die Attentäter: „Die damalige Polizei konnte keinen von ihnen ermitteln, und dies gelang erst dem nationalsozialistischen Staat und seinen Polizei- und Justizorganen, wobei die SA außerordentlich wertvolle Hilfe geleistet hat.“ In der Sache Lenck-Anlauf leistete diese Hilfe wie aus den Gerichtsakten ersichtlich, der SA-Sturm 102 ab März 1933. Wenn in der Bülowplatz-Sache drei Jahre nach der Tat gerichtsverwertbare Ergebnisse erzielt wurden, dann durch diese „Methoden“. Durch die vielen Bände Vernehmungsakten, durch den Schlußbericht der Polizei und selbst noch durch die Anklageschrift ziehen sich wie rote Fäden die Methoden, mit denen „Namen“ zur Kenntnis gelangten und Geständnisse erzielt wurden. Erfahrene und abgehärtete Männer von Rotfront fallen um wie die Dominosteine: „... Am vierten Tage seines Hierseins legte er ein Geständnis dahingehend ab ... gelang es, ihn in seiner Wohnung festzunehmen und nach einigen Tagen zu einem teilweisen Geständnis zu veranlassen ... wonach es gelungen sei, drei Personen festzunehmen, die schon zugegeben hätten, an der Erschießung der Polizeioffiziere mitgewirkt zu haben ... auch er gibt nach anfänglichem Leugnen die Beteiligung an der Tat zu.“ Einige Jahre später heißt das in den Akten klar und deutlich „verschärft vernommen“. H. D. Heilmann