„Die Schwänze sind zulässig, ja, ja, ja“

„Andersrum“, das Erste Schwule Fernsehen aus Berlin, feiert Geburtstag — und wird aus dem Tagesprogramm verbannt  ■ Von Marc Fest

Die schwulen Schwänze hängen Paul Stutenbäumer zum Hals heraus. Offen zugeben mag er das nicht. „Ich stehe zum Schwulen Fernsehen“, behauptet der Chef des Berliner TV- Senders „Fernsehen aus Berlin“ (FAB). Trotzdem verbannte er Deutschlands erstes Schwulenmagazin Andersrum nun in die Nachtzeit, zwischen 21 und 3Uhr. Wegen der Erotikclips. Und vor allem: wegen der nackten Schwänze darin. In denen sieht der Fernsehchef des erst einjährigen Senders eine Gefahr für seine Sendelizenz. Und über die wird im April neu entschieden. Stutenbäumer: „Da wollen wir auf Nummer Sicher gehen.“

Der Bannstrahl trifft Andersrum ausgerechnet zu seinem einjährigen Geburtstag: Schrill, schräg und schwul hieß das Magazin, als Rosa von Praunheim es im Februar letzten Jahres mit einem Etat von 5.000DM pro Sendung startete. Als „Bügelfernsehen“ mit Aufklärungsappeal für „ganz normale Tanten und Hausfrauen“ hatte der schwule Filmemacher sein Programm geplant. Höhepunkt der ersten Sendungen: ein eher keuscher „Kuß der Woche“.

„Scheinliberale Zuckerwatte“, schimpfte das Berliner Schwulenmagazin 'Siegessäule‘. Auch Praunheims Mitarbeitern war das Konzept zu lasch und der Führungsstil ihres „künstlerischen Leiters“ zu autokratisch. Schon nach Folge acht zog Gründungsvater Praunheim seinen Schwanz deshalb ein und ging. Aus dem wöchentlichen Schrill, schräg und schwul wurde ein monatliches Andersrum. Und für den Höhepunkt sorgt nicht mehr der Kuß der Woche sondern ein „Erotikclip“ — mit freiem Blick auf den kleinen Unterschied. „Schwänze sind ein Stück schwules Leben“, rechfertigt Produktionsleiter André Kraft die unverhüllten Genitale.

Der schlaffe Schwanz — bei Weiber von Sinnen schon längst ein altes Eisen — erregte FAB-Chef Stutenbäumer schon im vergangenen Juni: Damals verschleierte FAB die Erotikclips von Andersrum tagsüber mit einem milchigen Balken. Nur noch „inhaltlich notwendige“ Schwänze forderte Stutenbäumer für seinen Sender — ein vorauseilender und unbegründeter Gehorsam gegenüber dem Berliner Kabelrat: „Über einen nackten Mann regt sich doch kein Schwanz auf“, brüskierte die zuständige Programmreferentin Susanne Grams den Zensor von FAB — das Sehvergnügen bei Andersrum war fortan wieder ungetrübt.

Bis zur Neujahrssendung. Auch darin präsentierte Andersrum den obligatorischen Erotikclip — neben einem Interview mit Eartha Kitt, einer Reportage aus dem Berliner „Theater des Westens“ und einer Straßenumfrage zum Thema „Nackte Männer im TV“. Tenor der Antworten: „Nackte Männer — find' ich gut.“ Das veranlaßte zwei aufgebrachte Zuschauer zu einer Programmbeschwerde beim Kabelrat.

„Darauf gab es zwischen FAB, Andersrum und uns ein Gespräch. Das ist in solchen Fällen vorgeschrieben“, erläutert Programmreferentin Susanne Grams. Ergebnis des „informellen“ Small-Talks: „Die Schwänze sind zulässig, ja, ja, ja“, so Grams, der die Schwanz- Querelen inzwischen auf den Sender gehen.

Sicherheitshalber präsentierte Stutenbäumer die inkriminierte Neujahrssendung auch der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) zur Begutachtung. Resümee der Sittenwächter aus dem hessischen Wiesbaden: „Für alle Altersstufen unbedenklich.“ Nur nicht für Stutenbäumer: er will nicht eher ruhen, bis auch der Verbund der Landesmedienanstalten die schwulen Schwänze gutachterlich gutiert hat. „Die haben im Zweifelsfall das letzte Wort. Und bei denen haben auch die Bayern ein Wörtchen mitzureden“, weiß Stutenbäumer und beschreibt seinen persönlichen Alptraum: „Angenommen, ein Vater sagt: ,Das hat mein Kind total verstört‘ und verklagt uns dann auf eine Million.“

„Aber gerade die Tagesausstrahlung bietet schwulen Jugendlichen eine Coming-out-Hilfe und Identifikationsfiguren“, argumentiert Andersrum-Moderator David Wilms. Doch FAB-Chef Stutenbäumer bleibt hart. Neben möglichen Prozessen fürchte er auch die Abmahnungen des Kabelrates. Drei reichen, und die Lizenz ist futsch. „Und eine haben wir schon eingesteckt“, klagt Stutenbäumer. Was er nur widerwillig zugibt: Die Rüge erging nicht wegen Andersrum. In der FAB- Kinosendung Abgedreht (Stutenbäumer: „Die schneide ich selber“) hatte der Chef eine Rezension präsentiert — zur Prime-Time der lieben Kleinen, sprich nachmittags, und ausgerechnet über den Motorsägen-Klassiker Texas Chainsaw Massacre.

Paul Stutenbäumer hat also ein Problem: Andersrum ist ihm zu erfolgreich. Knapp eine halbe Million — nicht nur schwule — Zuschauer, so inoffizielle Zahlen, sehen die Sendung, die im Monat 16 mal auf dem Kabalkanal E12 und nachts zusätzlich auf der Berlin-Frequenz von RTLplus wiederholt wird. Für viele Berliner ist FAB daher inzwischen schlicht „der schwule Sender“. „Dadurch erleiden wir natürlich sehr große Einbrüche im Werbemarkt“, lamentiert Stutenbäumer.

Schuld am Erfolg und der Professionalität von Andersrum trifft vor allem die Berlin Film-Produktionsfirma „Bund-Film“. Seit Oktober investiert sie pro Sendung 40.000 Mark an Technik, „die Gehälter gar nicht mitgerechnet“, so Elser Maxwell, Mitgesellschafter von Bund- Film und „vor Jahrzehnten“ einmal jüngstes Mitglied der „Homosexuellen Aktion Westberlin“. Doch Bund- Film investiert nicht nur aus Solidarität: „Fremde Redaktionen, sogar öffentlich-rechtliche Anstalten, haben schon angeklopft“, so Maxwell.

Vor der Tür steht nun auch die Jubiläumssendung. Am 30.Januar um 21Uhr präsentiert Andersrum — ganz unbescheiden — den Schwerpunkt „Wir über uns“ und den Blick durchs Schlüsselloch: „Wie entsteht ein Erotikclip?“