CSU rechtfertigt Abschiebung gefolterter Flüchtlinge

■ Türkische Asylbewerber nach ihrer Abschiebung in Istanbul festgenommen und mißhandelt Bayerischer Innenminister steht dennoch zu seiner Entscheidung

Schweinfurt (taz) — Als „glasklaren Fall“ verteidigte Bayerns Innenminister Stoiber am Donnerstag abend die Abschiebung einer vierköpfigen türkischen Familie, obwohl diese nach ihrer Ankunft festgenommen und schwer mißhandelt wurde.

Von der am 8. Oktober nach einer nächtlichen Polizeiaktion auf persönliche Anordnung des Innenministers nach Istanbul abgeschobenen Familie Öztürk fehlte nach der Landung zunächst für 36 Stunden jede Spur. Mitreisende wußten lediglich zu berichten, die Familie sei bereits auf dem Flughafen von der Polizei aus der Gruppe anderer ebenfalls abgeschobener Asylbewerber herausgegriffen worden. Dann meldeten sich Verwandte der Familie bei Bekannten in dem unterfränkischen Gerolzhofen und erzählten mit tränenerstickter Stimme, daß die vier gleich bei ihrer Ankunft in der Türkei verhaftet und allesamt, Eltern wie Kinder, in Haft genommen worden seien. Tags darauf berichtet der inzwischen freigelassene Saadettin Öztürk am Telefon von einer 24stündigen Tortur, der er auf der Wache ausgesetzt gewesen sei. Sein Körper sei über und über mit den Spuren der Schläge übersät. Pässe, Bargeld und einige bescheidene Wertsachen seien ihnen abgenommen worden.

Daß ein derart Mißhandelter am Telefon über das Erlebte berichtet, erscheint Innenminister Stoiber wenig glaubhaft. Die Türkei sei schließlich eine parlamentarische Demokratie, Mitglied der Nato und habe die Aufnahme in die EG beantragt. Es gebe keinen Grund von Abschiebungen in die Türkei Abstand zu nehmen. Auch aus seinem Motiv für seine harte Haltung wenige Tage vor den bayerischen Landtagswahlen machte Stoiber keinen Hehl. Er wolle sich nicht erneut der Kritik aussetzen, die bayerische Staatsregierung schiebe nicht konsequent genug ab. Ein solcher Vorwurf sei unter anderem vom Oppositionsführer im bayerischen Landtag, Hiersemann, formuliert worden. Das persönliche Eingreifen des Herrn Staatsministers in dem Fall Öztürk war aus zwei Gründen notwendig geworden.

Zum einen hatte die Familie mit Unterstützung eines konfessionell gemischten Arbeitskreises in der evangelischen Kirche der Kleinstadt Schutz vor der drohenden Abschiebung gefunden. Der lapidaren Ablehnung des Duldungsantrags durch das Landratsamt Schweinfurt, das die Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung in der Türkei nicht erkennen mochte, wollten sich über 400 Gerolzhöfer nicht anschließen. Sie unterzeichneten eine Petition an den bayerischen Landtag und forderten aus humanitären Gründen ein Bleiberecht für die Familie. Nachdem das bayerische Innenministerium nach der Kirchenflucht die Abschiebung vorläufig aussetzte und auch das Amtsgericht Schweinfurt den Vollzug der Abschiebehaft erst nach einer Entscheidung über die Petition anordnen wollte, ging nicht nur die örtliche Presse unwidersprochen davon aus, daß das Ministerium die Stellungnahme dieses Gremiums abwarten würde. Stoiber persönlich setzte sich über die Absprachen hinweg und ordnete den sofortigen Vollzug der Abschiebung an.

Der Fall der Familie Öztürk ist, abgesehen von der ungewöhnlichen öffentlichen Aufmerksamkeit, ein ganz normales bayerisches Asylverfahren. In die Anhörung des „Bundesamtes für die Anerkennung von Asylbewerbern“ ging Saadettin Öztürk ohne die geringste Kenntnis der Rechtslage und ohne Vorbereitung durch Organisationen wie anesty international. Von seiner Frau erst nachträglich eidesstattlich versicherte Aussagen über Verhaftungen und über Folterspuren an seinem Körper konnten wegen eines Versäumnisses des Prozeßvertreters im Verwaltungsgerichtsverfahren nicht vorgetragen werden und waren damit für alle weiteren Instanzen irrelevant.

Bayerns schnellster Asylrichter, Dr. Voigt vom Verwaltungsgericht Ansbach, hatte im Fall Öztürk seine Hand gleich zweimal im Spiel. Voigts Name ging erst im August dieses Jahres durch die Presse, weil er ein Urteil über die Ablehnung eines kurdischen Flüchtlings bereits vollständig hatte ausfertigen lassen, bevor die mündliche Verhandlung überhaupt stattgefunden hatte.

Im Fall Öztürk lehnte Voigt als Einzelrichter am 6.4.90 den Asylfolgeantrag der Familie ab. Als Mitglied der 11. Kammer des Verwaltungsgerichts Ansbach ist er noch am selben Tage Mitentscheider bei der Ablehnung der Klage gegen die Ausreiseaufforderung. In gewohnt flinker Manier verweist die Kammer in ihrer Ablehnung auf das Urteil ihres Mitgliedes Dr. Voigt vom gleichen Tag, obwohl dessen schriftliche Ausfertigung erst zwei Monate später vorgelegen hat. Daß statt eines schriftlich vorliegenden Urteils mündliche Erläuterungen eines beteiligten Richters als Begründung für ein zweites Urteil dienen, ist auch eine Ansbacher Spezialität. Bei soviel gutem Willen zur Beschleunigung des Asylverfahrens mochte auch das Landratsamt Schweinfurt nicht abseits stehen. Es lehnte den Antrag des Rechtsanwaltes auf „Duldung des Aufenthaltes aus humanitären Gründen“ ab. Von verschiedenen Gerichten als wahr unterstellte Berichte von Verhaftungen und Folterungen in der Türkei, bezog es in seine Überlegungen über mögliche zukünftige Gefährdungen im Nato- Partnerland nicht ein. Die selbständige Prüfung über mögliche menschenrechtswidrige Behandlungen im Herkunftsland, die jede abschiebende Behörde nach dem Ausländergesetz vornehmen muß, verkam zur Formsache.

Wie schrieb doch die örtliche 'Volkszeitung‘ zu einer Dienstbesprechung der unterfränkischen Landräte und Oberbürgermeister am 4.10. dieses Jahres: „Probleme: Müllberg und Asylantenstrom“. Günter Seufert