„Die Hamas wird die größte Herausforderung für Abu Masen“, sagt Yossi Alpher

Am Sonntag wird der gemäßigte Abu Masen wohl zu Arafats Nachfolger gewählt. Doch zum Frieden ist es noch weit

taz: Herr Alpher, ist die Wahl in Palästina am Sonntag ein Beispiel für eine arabische Demokratie?

Yossi Alpher: Ich glaube, dass schon zu Arafats Lebzeiten und trotz seiner Person Grundlagen für demokratische Prozeduren gelegt worden sind. Tatsache ist, dass die Wahl bis jetzt reibungslos abläuft. Das ist beeindruckend. Wäre Marwan Barghuti im Rennen geblieben, wäre es demokratischer gewesen, denn es hätte zum ersten Mal in der arabischen Welt einen ernsthaften Wettbewerb zwischen zwei verschiedenen Persönlichkeiten mit zwei wirklich verschiedenen Standpunkten gegeben.

Aber beide wären Kandidaten der Fatah gewesen …

Nun, Marwan Barghuti tritt für den bewaffneten Kampf und die Intifada ein, Abu Masen nicht. Umfragen zeigten, dass beide Chancen gehabt hätten. Jetzt ist das Ergebnis klar: Abu Masen wird gewinnen. Vermutlich ist das besser für die Palästinenser.

Hamas boykottiert die Wahl. Stellt das die Legitimität des neuen Präsidenten in Frage?

Hamas hat an den Lokalwahlen teilgenommen und wird an der Wahl zum palästinensischen Legislativrat im Mai 2005 teilnehmen. Es ist schade, dass Hamas diese Wahl boykottiert. Es schmälert die demokratische Natur der Wahl. Und Hamas kann später sagen: Wir waren an der Wahl dieses Präsidenten nicht beteiligt. Das ist ein Nachteil.

Fatah und Hamas haben einen „Pakt des Respekts“ geschlossen. Lässt sich die Hamas also einbinden?

Nein. Abu Masen hat es bisher nicht geschafft, die ganze Hamas-Führung zu einer Waffenruhe zu bewegen. Die Botschaft der Hamas in Gaza in den vergangenen Wochen war unmissverständlich: Wir folgen Abu Masens Linie nicht. Die Hamas wird die größte Herausforderung für Abu Masen als Präsident sein.

Wie wird Abu Masens Führungsstil denn sein?

Anders als der von Arafat. Da er über kein Charisma verfügt, will er zeigen, dass er – im Gegensatz zu Arafat – international akzeptabel ist. In Kuwait hat er sich öffentlich für Arafats Politik entschuldigt, der 1991 Saddam Husseins Invasion in Kuwait unterstützt hatte. Er hat auch Syrien besucht, wo Arafat eine „persona non grata“ war.

Aber in allen Punkten, die endgültige Friedensverhandlungen betreffen, scheint Abu Masen keine andere Position als Arafat zu haben.

Ja, richtig. Zur Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge und zu Jerusalem hat er die gleiche Ansicht. Darum halte ich Abu Masen nicht für einen Kandidaten für Friedensverhandlungen. Denn solange Masen an der Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge nach Israel festhält, kann es keine Einigung geben. Deshalb wird es auch keinen Friedensprozess geben. Abu Masen und Scharon werden höchstens über eine Koordination des Rückzugs aus Gaza verhandeln …

Abu Masen will den Rückzug aber nicht koordinieren.

Den Eindruck habe ich nicht. Es haben schon Gespräche über die Koordination der Sicherheit stattgefunden. Scharon ist es gelungen, den Gaza-Rückzug zum zentralen Thema zu machen. Abu Masen wird sich anpassen müssen. Wenn er auf „alles oder nichts“ setzt, gibt es einen unkoordinierten Rückzug. Dann wäre die Lage in Gaza schlimmer für ihn.

Wird Israel mit Abu Masen die Politik „Es gibt keinen Partner für den Frieden“ aufgeben?

Das ist offen. Wenn Masen eine Waffenruhe erreichen kann, dann sitzt Scharon in der Klemme. Zwar nicht sofort, aber nach dem Rückzug aus Gaza. Sobald der verwirklicht ist und Abu Masen sich als gemäßigter Führer etabliert hat, wird es eng für Scharon. Weil es vor jeder Wahl in Israel und auch den USA heißen wird: „Schau, es gibt einen Partner.“ Wenn Bush mit den Palästinensern zufrieden ist, wird er Scharon unter Druck setzen. Scharon kann und will aber kein umfassendes Friedensabkommen über die Bühne bringen.

Und dann?

Ich schätze, dass die Koalition von Likud und Arbeitspartei nach dem Rückzug aus Gaza zerbrechen wird. Die Arbeitspartei wird auch das Westjordanland räumen wollen, Likud nicht. Das heißt, Anfang 2006 wird es Neuwahlen geben. Wenn Bush dann allerdings Zwischenwahlen vor sich hat, wird er Scharon wohl kaum unter starken Druck setzen. Die Palästinenser werden also viel Geduld haben müssen, bis sie mehr als den Rückzug aus Gaza erreichen können.

Was will Scharon denn mit dem Rückzug aus Gaza? Ist das nur ein Schachzug, um das Westjordanland zu behalten?

Manche glauben das. Andere meinen, dass Scharon nach Gaza weitere Rückzüge plant – keinen Friedensprozess –, bis er die Grenzen habe, die er will.

Was halten Sie von Scharon?

Er ist kein Kandidat für einen Friedensprozess, aber ich unterstütze den Rückzug. Es ist ungeheuer schwierig, die Siedlungen abzubauen. Dass Scharon dies nun tut, zeigt seine unglaubliche politische Entschlossenheit. Deshalb verdient er Unterstützung, egal wie seine Motive aussehen.

Wofür braucht Israel das Westjordanland noch, nachdem mit dem Sturz von Saddam Hussein die Bedrohung von Osten weggefallen ist?

Scharon glaubt, dass es langfristig nötig ist, am Jordantal festzuhalten. Zudem ist die Lage im Irak ja instabil. Tatsächlich aber sind wir in einer neuen Lage: Zum ersten Mal seit 56 Jahren gibt es keine konventionelle militärische Bedrohung. INTERVIEW:
MONIKA JUNG-MOUNIB