Die Sinnlichkeit des Blutwurstzutzelns

Blut- und Leberwürste werden – so ist es Brauch – im Süden der Republik, aber auch in der Schweiz frisch nach der Schlachtung in gewaltigen Portionen gegessen. Meist mit einer Schüssel Sauerkraut. Ein Interview mit Guy Louis Zander vom Schweizer „Verein zur Förderung des Ansehens der Blut- und Leberwürste“. Und der heißt wirklich so

von HARRY KONOPKE und MANFRED KRIENER

taz: Herr Zander, 1968 entstanden in Westeuropa überall revolutionäre Zirkel. Sie aber wollten nicht die Menschheit retten: Sie haben im gleichen Jahr einen „Verein zur Förderung des Ansehens der Blut- und Leberwürste“ gegründet.

Guy Louis Zander: Damals gab es nicht nur auf politischer Ebene wichtige Umwälzungen, sondern auch gastronomische. Es waren einige Studenten der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, die den Verein gegründet haben. Sie wollten damit auch gegen das Fast Food opponieren. Ich selbst war damals noch nicht dabei, ich mache erst seit zehn Jahren mit.

Von Kurt Tucholsky stammt die spöttische Bemerkung: „Wenn drei Deutsche zusammensitzen, gründen sie einen Verein.“ Wie ist das in der Schweiz?

Die Schweizer sind da gar nicht so anders. Aber die Aufgabe unseres Vereins ist nicht nur die Pflege der Kameradschaft und Gemütlichkeit. Wir stellen die Wirte und Metzger auf den Prüfstand. In der Schlachtsaison von September bis März besuchen wir verschiedene Metzgeten – bei Ihnen heißt das, glaube ich, Schlachtfest oder Schlachtplatte –, wo dann von uns nach strengen Kriterien gerichtet wird.

Sie sind also keine Gourmets, Sie sind eher Kontrolleure?

Wir sind Gourmets, ganz klar. Wir sind es von Natur aus. Und wehe, eine Blutwurst schmeckt uns nicht.

Wie müssen wir uns Ihr Vereinsleben vorstellen – wird da permanent degustiert, kämpfen Sie sich von Metzgete zu Metzgete durch den Winter, immer im Einsatz für die wahre Blutwurst?

Also zunächst einmal wählen wir jedes Jahr einen Tafelmajor oder eine -majorin. Die müssen dann in der Saison die Metzgeten aussuchen. Wir wollen aber nicht nur die besten und bekanntesten Orte aufsuchen, sondern auch mal zufällig ein anderes, abgelegenes Ziel ansteuern. Wir sind sechzig Mitglieder, meist treffen sich dann zwischen 15 und 25, um in einem ausgewählten Gasthof eine Metzgete zu verspeisen. Dann gibt es noch Mitglieder, die auf eigene Faust Schlachtfeste besuchen und benoten, abseits vom festgelegten Programm. Am Ende der Saison rechnet der Computer alle Noten zusammen, und die Generalversammlung entscheidet, wer den Vereinspreis erhält.

Da gibt’s dann die goldene Blutwurst am Bande?

Wir verleihen ein schönes Messingschild. Das ist eine sehr begehrte Auszeichnung mit einem großen Medienrummel. Wenn der prämierte Wirt geschickt ist, hat er für die nächsten Jahre ausgesorgt, dann brummt sein Laden. Und einmal im Jahr veranstalten wir selbst ein Schlachtfest, die Blutwurst wird dann von unserem Vereinsmetzger gemacht.

Trotz Ihrer löblichen Anstrengungen hat die Blutwurst noch immer ein sauschlechtes Image. Die Leute denken bei „Blut“ eher an Dracula und Operationssäle als an einen delikaten Happen. Ist das Ansehen überhaupt zu retten?

Unbedingt! Da glaube ich dran. Unsere Schweizer Blutwurst ist eine hochwertige Delikatesse. Sie ist kein Haltbarkeitsprodukt, sie wird mit frischem Blut gemacht und muss deshalb rasch verzehrt werden. Es ist sehr schwierig, eine wirklich gute Blutwurst herzustellen. Die Gewürzmischung muss stimmen, viel handwerkliches Können ist nötig, und das verschwindet ja immer mehr. Blutwürste sollen keine Plastikschläuche sein, die dürfen noch nicht mal in den Rindsdarm.

Annibal Strubinger, Chefkoch im Schwarzen Adler in Oberbergen am Kaiserstuhl, hat uns seine Rezeptur verraten. Für sein alemannisches Schlachtfest im Dezember werden einige Schweine gezielt gemästet. Er nimmt auf einen Liter Blut einen halben Liter Milch, dazu goldbraun angeschwitzte Zwiebeln, etwas Weißbrot ohne Rinde, klein gehäckselte und pürierte Schwarte, Salz, Pfeffer, Muskat, Nelken und Zimt. Findet das Gnade vor Ihren Augen?

Das hört sich nach klassischer Zubereitung an. Manche Metzger geben als Variante noch einen Schuss Rahm hinein.

Das sieht Ihr Verein wohl nicht so gerne.

Doch, doch, es darf nur nicht zu viel sein. Sonst schmeckt die Wurst langweilig, die Eigenaromen werden überdeckt.

Metallabklemmer mögen Sie auch nicht.

Wir sehen es gerne, wenn die Wurst mit Hanfschnüren abgebunden ist. Das ist die traditionelle Art.

Darf eine echte Blutwurst auch Rinderblut enthalten?

Hundert Prozent Schwein ist natürlich schöner. Wenn es nicht genug Schweineblut gibt, darf man zur Not etwas Rinderblut zugeben. Nicht zu viel, sonst schmeckt die Wurst schnell bitter, ein Drittel muss die Grenze sein. Aber viel wichtiger ist die Frische des Blutes. Ich sage immer: Lieber frisches Rinderblut als altes Schweineblut.

Und dann wird die schwarze Plunz am gleichen Tag gegessen?

Man kann sie schon einige Tage aufheben, aber dann muss sie geschwellt werden, also aufgekocht. Vor dem Servieren machen Sie die Wurst wieder warm, mit etwa siebzig Grad sollte sie auf den Tisch kommen.

Essen Sie Senf dazu, einen süßen oder scharfen? Verraten Sie uns den idealen Partner.

Der ideale Partner ist: gar nichts! Allenfalls etwas Sauerkraut. Manche legen noch einige Apfelschnitzchen dazu.

Was ist mit Brot? Dagegen kann auch der Purist nichts haben.

Brot benutzt man nur beim Einstich. Wenn die Gabel durch die Pelle dringt, muss man sich vor den Fettgeysiren schützen, die aus der Wurst herausspritzen. Da benutzen Sie die Brotscheibe wie einen Schutzschild.

Wie wär’s mit Zwiebel-Apfel-Confit oder Kartoffelpüree als Beilage?

Nein, das braucht es nicht. Das ist die elsässische Variante. Bei uns in der Schweiz wird manchmal noch eine Zwiebeltunke serviert, das ist regional verschieden.

Im österreichischen Burgenland trinkt man gelegentlich eine hochfeine Beerenauslese dazu, die Elsässer lieben die Blutwurst mit Gewürztraminer. Was kommt bei Ihnen ins Glas?

Der beste flüssige Partner ist ein guter, typischer roter Landwein. Das hängt aber eher von der Stimmung ab als von der Blutwurst. Ich persönlich trinke am liebsten einen Riesling dazu. Was auch sehr gut zusammengeht, besonders wenn man nach der Metzgete noch mit dem Auto nach Hause fahren muss, ist ein Glast Most.

Kein Bier?

Das würde ich niemals empfehlen. Bier schwemmt auf. Dann lieber einen kräftigen Kräuterschnaps hinunterkippen, der hilft wenigstens bei der Verdauung.

Ihr Verein hat ein Degustationsformular zusammengestellt. Darin geht es neben dem prallen Erscheinungsbild der Blutwurst – keine Runzeln! – um die Homogenität, um Saftigkeit und Würzung, aber auch um die Munderotik. Wir bitten um Erläuterung.

Die Munderotik hängt mit der Oralhaptik zusammen. Das ist das Gefühl, wenn Sie ein Stück Blutwurst in den Mund nehmen und es wie eine Auster zwischen Zunge und Gaumen zerdrücken. Es ist ein angenehmes taktiles Gefühl. Sehr sinnlich.

Wie ein Zungenkuss? Tun Sie die Blutwurst schon mal aus dem Darm lutschen oder zutzeln, wie die Bayern sagen?

Nein, nein. Das kann man vielleicht im privaten Stübchen tun, aber in der Öffentlichkeit ist so etwas verpönt.

Zu den Aufgaben Ihrer Mitglieder gehört auch die so genannte Saukontrolle. Wie soll denn einer, wenn er seine Schlachtplatte im Restaurant genießt, nachprüfen, ob die Sau auch tatsächlich liebevoll gehalten wurde? Oder ob der Bauer Hormone und Antibiotika zufüttert?

Manche unserer Mitglieder gehen so weit, dass sie schon im Frühjahr den Wirt der Wintermetzgete besuchen, um nachzuprüfen, wie die Sauen gehalten werden.

Eine Inspektion ohne Anmeldung?

Ohne Anmeldung! Wir wollen einfach sehen, wie die Tiere leben. Zu unserem Verein gehört übrigens auch ein Verhaltensforscher. Und man kann den Metzger interviewen: Woher stammen das Blut und die Schweine? Gesündigt wird, wenn das Schwein aus der industriellen Massentierhaltung kommt. Das ist natürlich schwer zu kontrollieren, sobald der Metzger das Fleisch aus dem Schlachthaus bekommt. Das ganze Thema hat eine ethische und emotionale Dimension, die viel mit Tierliebe und Tierschutz zu tun hat. Das Beste ist auf alle Fälle, wenn das Schwein vom gleichen Ort kommt und noch vom Dorfmetzger geschlachtet wird. Dann haben wir die optimale Frische.

Sie hatten kürzlich einen internationalen Blutwurstkongress am Ägerisee. Das klingt ziemlich verrückt.

Wieso? Das war aus Anlass unseres dreißigjährigen Jubiläums. Da kamen Mitglieder aus dem Ausland, die artgerechte Schweinehaltung betreiben, die den Tieren auch Astwerk zur Verfügung stellen. Schweine haben nämlich einen starken Spieltrieb, das haben wir fast vergessen. Es wurden verschiedene Forschungsprojekte zur Schweineaufzucht vorgestellt. Und es kamen Studenten, die das Degustieren lernen wollten.

Ist das Beurteilen einer Blutwurst so schwierig?

Aber sicher. Man muss schon an verschiedenen Metzgeten unter kompetenter Anleitung teilnehmen, um das Degustieren und Bewerten einer Blutwurst zu erlernen. Wie setzt man den Schnitt an? Wann ist eine Blutwurst inhomogen, weil sie nicht lange genug gerührt wurde? Wann muss sie abgewertet werden? Das ist nicht so einfach.

Wenn Sie zu Hause mit Blutwürsten kochen, was ist Ihr schönstes Rezept?

Ich koche nie.

Jetzt enttäuschen Sie uns.

Tut mir Leid, aber das Kochen mit Blutwürsten überlasse ich lieber den Spezialisten. Die können es besser.

HARRY KONOPKE, 49, ist Weinimporteur aus Heilbronn. MANFRED KRIENER, 47, lebt als freier Journalist in Berlin.