„Man muss Freud bemühen“

FROHSINN Ein Bremer Lachforscher weiß, warum wir seit Jahrzehnten denselben Sketch ansehen

Dozent für Kulturtheorie und Kulturgeschichte im Fach Kulturwissenschaft an der Uni Bremen.

taz: Warum schauen die Deutsche jedes Jahr „Dinner for one“?

Rainer Stollmann: Das ist wie Waschzwang. Es ist ein Symptom für eine Art Krankheit, denn wir lachen über was anderes, als wir denken. Um das zu verstehen, muss man Freud und die Psychoanalyse bemühen: Das Unbewusste weiß nichts vom Bewusstsein, also was ich nachts träume, kann ich wach auf keinen Fall denken. Es gibt nur gewisse Löcher hin zum Bewusstsein, das sind der Traum – und der Witz. Die Deutschen lachen bei dem Sketch unbewusst über ihre eigene Vergangenheit – nämlich das Dritte Reich.

Das Dritte Reich?

Der Sketch ist mittelmäßig und außerdem auf englisch, und eigentlich übersetzen die Deutschen immer alles. Warum also lachen sie darüber? Wieso wurden nicht Loriots „Hoppenstedts“ zum Silvester-Klassiker? Oder Heinz Erhardt? Es muss also etwas mit dem Innersten unserer bundesrepublikanischen Seele zu tun haben.

Nämlich?

Das Alleinstellungsmerkmal von „Dinner for one“ ist, dass es die prekäre Grenze von Tod und Leben, von Vergangenheit und Gegenwart zeigt. Das macht der Sketch unter einer englischen, privaten Fassade – die natürlich nichts mit dem Dritten Reich zu tun hat. Aber weil man als Deutscher nicht über die Nazi-Zeit lachen kann, wird diese Fassade benutzt, um darüber unbewusst lachen zu können. Denn als der Sketch herauskam und populär wurde in den sechziger Jahren, wurde die deutsche Vergangenheit noch völlig verdrängt.

Für manche junge Leute spielt das Dritte Reich doch gar keine zentrale Rolle mehr im historischen Bewusstsein.

Ich würde deshalb auch sagen, dass die Zuschauer von „Dinner for one“ aussterben. Das könnte bald der Fall sein, denn der Höhepunkt des Sketches ist schon überschritten. Ich glaube, der Sketch verschwindet bald, denn die Generation, die darüber lachen konnte, gibt es bald nicht mehr, und die Jungen brauchen „Dinner for one“ nicht mehr.

Und was ist mit den Briten – immerhin ist der Sketch ja aus England?

„Dinner for one“ hat in England noch nie eine Rolle gespielt. Die Engländer sehen es, wie es ist – nämlich als mittelmäßigen Sketch.

Interview: Alexandra Stahl, dpa

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