DIE DREI FRAGEZEICHEN
: „Ein Sonderfall“

WAS? Selbstmord, erweiterter Suizid, Amoklauf – in den Medien kursieren viele Begriffe zum Germanwings-Desaster. Was sollte man denn sagen? Der Versuch einer Einordnung

taz: Herr Oberwittler, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schreibt, das Wort „Selbstmord“ sei zu schwach für die mutmaßliche Tat des Germanwings-Kopiloten. Stimmen Sie zu?

Ja, offensichtlich scheint hier der klassische Selbstmordbegriff nicht ganz auszureichen. Es handelt sich um einen Sonderfall, für den eine Vielzahl von definierenden Begriffen im Raum steht.

Welche Begriffe stehen zur Auswahl?

Oft fällt in diesen der Begriff „erweiterter Suizid“, der aber nur bedingt passt. Damit bezeichnet man üblicherweise ein Vorgehen, das primär auf den Selbstmord ausgerichtet ist, aber andere Leute mit in den Tod nimmt. Diese Personen sind aber meistens Angehörige oder Nahestehende, die nicht aus Aggression, sondern aus einem gefühlten Schutzbedürfnis heraus mitgetötet werden. Klassisches Beispiel ist die verzweifelte Mutter, die sich selbst und ihr Kind umbringt. Ein weiter gefasster Terminus ist „Homizid/Suizid“, also die Kombination von Fremd- und Selbsttötung. Das ist ein neutralerer Oberbegriff, der auch eine Aggression gegenüber den Getöteten einschließen kann. Aber auch hier besteht meist eine Verbindung zwischen dem Täter und seinen Opfern.

Vielleicht wäre der Begriff „Amoklauf“ zutreffender?

Amokläufer suchen sich in ihrem eigenen Kontext einen Ort für ihrer Tat, zum Beispiel die Schule oder den Arbeitsplatz. Die Opfer haben hier meist nur eine begrenzte Verbindung zum Täter, im Vordergrund steht der ausgeprägte Gewaltexzess. Beim Amoklauf geht es um Aufmerksamkeit, das Um-sich-Schießen und sich entladende Aggression. Beim Fall Germanwings fehlte offenbar dieser expressiv-exzessive Gewaltausbruch, weswegen der Begriff mir hier auch nicht ganz passend erscheint. Wir haben es hier mit einem Spezialfall zu tun und wissen noch viel zu wenig über die Umstände, um die Tat klar zuordnen zu können.

FRAGEN: QUENTIN LICHTBLAU

■ Dr. Dietrich Oberwittler ist Soziologe am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht