Der nächste Bayern-Skandal

BETRUG Ein Untersuchungsausschuss soll herausfinden, warum im Fall Schottdorf nicht ordentlich ermittelt wurde. Doch die SPD stellt die Hauptzeugen in Frage

Dass auch Justizministerin Beate Merk Bescheid wusste, ist für die Grünen klar

AUS MÜNCHEN LISA SCHNELL

Die LKA-Beamten Robert Mahler und Stephan Sattler wollten eigentlich nur ihre Arbeit tun. Am Ende deckten sie eine Affäre auf, die sich als der nächste große Justizskandal aus Bayern entpuppen könnte.

Von 2006 bis 2008 ermittelten sie in der Soko „Labor“ gegen den Augsburger Laborunternehmer Bernd Schottdorf und rund 3.700 Ärzte wegen Abrechnungsbetrugs. Sie sollen das Gesundheitssystem um mindestens 7,4 Millionen Euro betrogen haben. Doch die Verfahren wurden eingestellt, die Justiz ließ Tausende Fälle verjähren.

Nicht zuletzt den zwei aufmüpfigen LKA-Beamten ist es zu verdanken, dass sich jetzt ein Untersuchungsausschuss mit dem Fall Schottdorf beschäftigt. Hat die Politik Druck ausgeübt, um den in der CSU gut vernetzten Laborunternehmer zu schonen? Nahm sie dafür in Kauf, dass Tausende Ärzte ungestraft davonkamen? Mit Spannung wurden die Aussagen der beiden Hauptbelastungszeugen Mahler und Sattler erwartet. Nach Ende ihrer Vernehmung an diesem Dienstag stehen massive Vorwürfe gegen Politik und Justiz, aber auch gegen einige Ausschussmitglieder, die Mahler und Sattler ungewohnt scharf befragten.

Die zwei LKA-Beamten warfen der Generalstaatsanwaltschaft vor, massiv in ihre Ermittlungen eingegriffen zu haben. Sie habe veranlasst, dass sich die Soko nur noch auf ein Pilotverfahren konzentrieren sollte, und damit die Verfolgung Tausender Ärzte gestoppt. Auch die Order, die Verfahren nach Augsburg abzugeben, sei von ganz oben gekommen. Dort wurden die Verfahren eingestellt, ohne den Ausgang des Pilotverfahrens abzuwarten, bei dem ein Arzt zu drei Jahren Haft verurteilt wurde. Die Fälle von Tausenden Ärzten verjährten. Der Serienbrief, den Mahler aufsetzte, um die Verjährung zu stoppen, wurde nie versandt.

Die Generalstaatsanwaltschaft untersteht direkt dem Justizministerium. Dass auch die damalige Justiz- und heutige Europaministerin Beate Merk (CSU) Bescheid wusste, ist für Sepp Dürr (Grüne) klar. Mahler berichtete von mehreren „Schnittmengen mit der Politik“. Die großzügigen Spenden Schottdorfs an die CSU hätten ein „eindeutiges Bild“ ergeben. Von einem Staatsanwalt hörte er, ein Haftbefehl gegen Schottdorf sei im Justizministerium „nicht gewünscht“. Die Staatsregierung habe in ihrer Antwort auf Landtagsanfragen die Zahl der betrügerischen Ärzte heruntergespielt und einen Eingriff der Generalstaatsanwaltschaft bestritten.

Seitdem Sattler und Mahler ihre Kritik äußern, ermittelte der Freistaat zweimal gegen sie. Die Verfahren dauerten fast zwei Jahre, obwohl in den Akten kein Hinweis zu finden ist, dass wirklich ermittelt wurde. „Absurd“ findet das der stellvertretende Ausschussvorsitzende Franz Schindler von der SPD. Er bestätigt, dass die Strafanzeige, die Mahler deshalb einreichte, just bei dem Staatsanwalt landete, der die Ermittlungen gegen ihn führte. Das sei ein „generelles Strukturproblem“.

Der SPD-Politiker überraschte im Ausschuss, weil er Sattler und Mahler oft härter befragte als die CSU. Dass Sattler fälschlicherweise vorgeworfen wurde, rechtswidrig ermittelt zu haben, findet er nicht gut – eine „Schweinerei“ wie die Grünen nennt er es nicht. Schindler konzentrierte sich vor allem auf das, was Mahler „Nebenkriegsschauplätze“ nennt: Mahlers Motivation, an den Ministerpräsidenten zu schreiben, Streitigkeiten innerhalb der Soko. Sattler stellte er als Netzbeschmutzer da, weil er in einer Mail Kollegen „angeschwärzt“ haben soll. Nicht nur einmal belehrte Schindler Sattler und Mahler, dass nicht sie, sondern die Staatsanwaltschaft entscheide, wie ermittelt wird. Schindler ist Jurist. Manche vermuten, dass es ihm deshalb schwerfällt, an einen „Justizskandal“ zu glauben.