Auf Teersand gebaut

KANADA Um 6 Prozent hätten die CO2-Emissionen gesenkt werden müssen. Sie stiegen um 35 Prozent

WASHINGTON taz | „Stur, taub, umweltpolitisch verantwortungslos und antiquiert“. So beschreibt in Ottawa die Umweltorganisation „Sierra Club“ den kanadischen Umweltminister Peter Kent, der gerade Kioto aufgekündigt hat.

Seit dem Regierungswechsel im Jahr 2006 haben die Tories in Ottawa konsequent von dem Primat der Ökologie auf das Primat der Ökonomie umgesattelt. In der Provinz Ontario, nördlich der großen Seen, wächst die Schwerindustrie seit dem 1994 in Kraft getretenen nordamerikanischen Freihandelsabkommen (Nafta). Und die weiter westlich gelegene Provinz Alberta hat ein Wirtschaftswachstum von fast 4 Prozent – dank des Teersandöls. Die Förderung dieses dreckigsten Öls überhaupt – bei dessen Raffinierung die Schadstoffemissionen laut EU-Kommission 23 Prozent höher sind als bei Mineralölen aus anderen Quellen – hat auch dazu geführt, dass die kanadische Regierung internationales Lobbying gegen Umweltregeln macht. In Washington versuchen die Tories doch noch eine Zusage für die Pipeline zu bekommen, die das Teeröl quer durch die USA in die Raffinerien von Texas bringen soll. Und in Brüssel macht der kanadische Energieminister Ron Liepert Lobbying gegen „ungerechtfertigte Diskriminierungen“.

Im letzten nationalen Wahlkampf war die Trennungslinie eindeutig: die Tories vertraten „die Wirtschaft“, die Linken „die Ökologie“. Die Tories gewannen. Doch Umweltschützer in Kanada erkannten bereits Mitte des vergangenen Jahrzehnts, als noch die Linken an der Macht waren, dass ihre Regierung nicht das Nötige tat, um die Kioto-Richtlinien einzuhalten. Danach hätte Kanada seine CO2-Emissionen von 1990 bis 2012 um 6 Prozent senken müssen. Stattdessen steigerte das Land sie um 35 Prozent.

Umweltminister Kent behauptet jetzt, dass er seinem Land Strafzahlungen in Höhe von 14 Milliarden kanadischen Dollars erspare. Sierra-Club-Chef John Bennet reagiert mit dem Kommentar, dass künftige Generationen dafür büßen müssen. Kanada ist selbst betroffen. Seine nördlichen Gebiete erwärmen sich schneller als der Rest der Erde. Die Kosten für die Klimakatastrophe könnten im Jahr 2050 zwischen 21 und 43 Milliarden kanadische Dollar (pro Jahr) betragen. DOROTHEA HAHN