Akustisches Dream-Team

SYMBIOSE Rückkanal, Diskursplattform und Werbeträger: Das Internet verhilft Radiosendern zu einer Renaissance

VON JAN SCHEPER

Das Internet ist ein Segen für das Radio“, sagt Markus Kühn. Er ist ein quirliger Typ mit regem Sendungsbewusstsein. Das passt zu seinem Job. Kühn ist Geschäftsführer des privaten Radiosenders FluxFM. Hauptsitz ist Berlin, wo man auf der reichweitenstärksten UKW-Frequenz bis nach Brandenburg sendet. Es gibt aber mittlerweile Ableger in Bremen und Stuttgart. Der 2004 als „temporäre Veranstaltungsfunkfrequenz“ gegründete Sender setzt inhaltlich auf Subkultur und alternative Musik wie Indie und Elektro.

Per Eigendefinition versteht FluxFM sich dabei als „Radio, Onlinemedium, Community und Veranstalter: Ein urbanes Netzwerk und eine Plattform für die mannigfaltigen Aktivitäten und Szenen der Stadt“. Das Konzept scheint aufzugehen. Die Hörerzahlen sind solide, 2011 schalten bis zu 176.000 Hörer pro Tag in Berlin ein. Über 50.000 aus dem übrigen Bundesgebiet nutzen den Livestream. Die für die Erhebung verantwortliche Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse unterscheidet nicht zwischen Empfangsgerät und Netz.

Markus Kühn sagt allerdings: „60 Prozent der Leute, die surfen, hören parallel Radio.“ Genau in dieser Tatsache sieht er eine Riesenchance: „Wenn man so will, war das Radio das erste soziale Netzwerk. Es war und ist bis heute lokal wie regional identitätsbildend und gemeinschaftsstiftend. Das macht es zu einem symbioseträchtigen Partner für das Internet. Beide Medien können sich ideal ergänzen.“ Wie das konkret bei FluxFM aussieht, weiß Diana Hagenberg. Die 35-Jährige leitet zusammen mit ihren Kollegen Frank Lachmann in Berlin die Online-Redaktion.

30.000 Freunde

Gemeinsam kümmern sie sich um die Homepage. fluxfm.de ergänzt das Programm, liefert redaktionelle Hintergrundinfos sowie Ankündigungen, Links und Beiträge wie beispielsweise komplette Interviews von Bands und Musikern aus den jeweiligen Sendungen. Für den Austausch mit den Hörern spielen soziale Netzwerke eine elementare Rolle und machen das Interesse am Sender – neben den Onlinestreamwerten – messbar. Knapp 30.000 Facebook-Freunde und 4.674 Twitter-Follower hat der Sender. „Auch technischer Support findet über die Social Media Kanäle statt, dieser Service für den Hörer ist auch für uns von Vorteil“, sagt Online-Chefin Hagenberg.

Entscheidend bei dieser boomenden Entwicklung ist, dass der Radionutzer zunehmend interaktiver wird. Der Hörfunk setzt Impulse für die Recherche zum Programm im Netz, das wiederum einen unendlichen Raum für Diskussionen bietet. Das akustische Medium selbst wird für Markt- und Werbepartner immens attraktiv. Auch deswegen entstand 2005 im Verbund privater und öffentlich-rechtlicher Sender die Radiozentrale Gmbh als „Gattungsplattform“, die etwa die Möglichkeiten der Sender im Hinblick auf kommerzielle Wirksamkeit analysiert. In einer Studie aus dem Jahr 2007 heißt es dort: „Der Impact einer reinen Online-Kampagne kann durch Radio massiv gesteigert werden.“ Von „Dream-Team“ Radio und Internet ist die Rede.

Dass Werbung im Netz auch bei Radioanbietern zugenommen hat, ist unstrittig. Zwischen nervenden Werbebannern und aufploppenden Produktfilmchen gibt es aber auch Positivbeispiele: Eins von circa 3.100 reinen Webradios in Deutschland – bei schätzungsweise 20.000 weltweit – ist detektor.fm aus Leipzig.

Der Onlinesender finanziert sich über Bannerwerbung auf der Webseite und über Sonderwerbeformen wie dem Sponsoring einzelner Rubriken, weil man den Hörer dankenswerterweise nicht mit Werbeblöcken im Programm langweilen will. Und man setzt auf redaktionell gefilterte, qualitativ hochwertige journalistische Inhalte und alternative Popmusik.

„Für uns ist das Netz das rückkanalträchtigste und interaktivste Medium“, sagt der Geschäftsführer von detektor.fm, Christian Bollert. Ein Team aus vier festen und zehn freien Mitarbeitern beliefert etwa 3.000 bis 4.000 hörende User mit Infos, Musik und Kulturthemen. Der Nischensender spricht nach eigenen Angaben überwiegend ein Publikum aus jungen AkademikerInnen an. Zu seiner Zielgruppe erklärt Bollert: „Sie sind für uns Multiplikator und Marketinginstrument. Ohne die sozialen Netzwerke würde es uns heute in dieser Form nicht geben.“

Die Erfahrungsberichte aus den Sendern FluxFM und detektor.fm spiegeln eine Diskussion wider, die in der zunehmend internetaffinen Hörfunkbranche immer wichtiger wird. So traf sich am Nikolaustag eine „Phalanx an digital natives“ (O-Ton Wolfgang Thaenert von der hessischen Landesmedienanstalt) zu den „Hörfunkgesprächen 2011“ im Literaturhaus Frankfurt. Keynotes, Vorträge und Debatten kreisten um das Thema „Hörer binden, User fesseln. Radio in den Zeiten von Social Media“.

Klar ist, dass dem Moderator eine zentrale Rolle bei der Interaktion zwischen Hörer/User und dem Sender zukommt. Während es die Privaten leicht haben, schnell mal auf ihren Facebook-Auftritt hinzuweisen, herrscht bei den Öffentlich-Rechtlichen eine rechtliche Grauzone. Und es erscheint nachvollziehbar, wenn Moderator Max von Malotki (1Live) im Themenblock „Talken, Twittern und Präsentieren“ darauf hinweist, dass Facebook ein „privatwirtschaftliches Unternehmen“ sei, dass man – verständlicherweise – nicht so ohne weiteres „featuren“ kann. Also taucht per Anweisung der Name im Programm nicht auf, obwohl dort eifrig diskutiert werde. Den Weg findet der Hörer ohnehin trotzdem ins Netz – 141.000 Anhänger hat der Kölner Sender bei Facebook. Malotcki selbst ist eher der Twitter-Typ, wegen der „persönlichen Rückkanalfähigkeit“. Er weist aber auch darauf hin, dass im ARD-Verbund „jede Anstalt einen eigenen Umgang mit Facebook pflegt“.

Grillparty mit Webcam

Wie offensiv man öffentlich-rechtlich alle zur Verfügung stehenden Kanäle nutzen kann, zeigt dann der Beitrag von Thomas Jung. Der stellvertretende Programmchef von SWR3 stellt unter anderem die interaktive „Grillparty mit Johann Lafer“ vor. Während der Sternekoch im Studio die Briketts verbraucht, ist das Sendegebiet dazu aufgerufen, parallel mitzumachen. Rezepte und Grill-Cam sind im Netz verfügbar, während Lafer im Verlauf der Sendung die Mitstreiter besuchen fährt oder per Helikopter fliegt – weil ja so viele mitmachen. Denn Jung will, „dass die Markenwelt von SWR3 überall präsent ist“. Kooperationspartner für das Format ist übrigens die Supermarktkette Edeka, die als „Spender“ die Sendung unterstützt.

Einen wichtigen Hinweis auf die Risiken bei verstärkter Aktivität im Hinblick auf soziale Netzwerke liefert der Vortrag „Nutzerbindung durch Social Media“ von Hannes Mehring, Chef der Medienagentur „frischr“ aus Erfurt. Mehring weist darauf hin, dass ihm die Redaktionen noch nicht wirklich auf die „Dynamiken des Social Webs“ vorbereitet erscheinen. Außerdem stelle Facebook allgemein zwar eine immense Reichweite zur Verfügung, die aber gemessen an den Inhalten oberflächlich bleibe. Die Frage, die sich anschließt: Lässt sich ein Qualitätsmedium wie öffentlich-rechtliches Radio in diesem Rahmen ohne Wertverlust präsentieren?

Diese Sorge hat Dietmar Timm, Leiter von DRadio Wissen, nicht. Der 2011 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnete Kanal aus dem Deutschlandradio-Verbund nutzt ausschließlich digitale Verbreitungswege. Timm schätzt die täglichen Hörerzahlen vorsichtig auf 5.000 bis 10.000

Besonders beliebt sei das umfangreiche Podcast-Angebot des Wissenschaftssenders: „Social-Media-Aktivitäten sind ein Mittel zur Hörerbindung, und die Qualität der Debatten liegt bei uns auf einem hohen Niveau“, sagt Timm. Im Netz sieht er seit dem Aufkommen der Podcasts 2005 Potenzial für eine „Radiorenaissance“.