ZWISCHEN DEN RILLEN
: Subversion mit Barbie-Rosa

Charli XCX: „Sucker“ (Asylum/Warner)

Charlotte Aitchisons 2014 war das Jahr, in dem ihr als Charli XCX der Sprung vom coolen Darkpop-Emporkömmling aus dem Vereinigten Königreich zur Teenpop-Sensation in Übersee gelang. Durch die Kooperation mit der australischen Rapperin Iggy Azalea in ihrem Song „Fancy“ sowie die nachfolgende Single „Boom Clap“ beförderte sich Charli XCX geradewegs in den US-Popolymp, der nach ihrem Majorlabeldebüt „True Romance“ (2013) noch in weiter Ferne schien.

Letzten Sommer wurde die 22-Jährige schlagartig zum Superstar in den USA und nicht länger nur als Komponistin des Songs „I Love It“ von Icona Pop wahrgenommen, für den das schwedische Duo mehrfach mit Platin ausgezeichnet wurde. Aitchison musste daher Attitude und Sound von Grund auf neu ausrichten. Gekränkt von der Wahrnehmung als Auftragskomponistin hatte sie rechtzeitig vor ihrem Mainstream-Durchbruch noch den musikalischen Mittelfinger an jedweden Erwartungsdruck angekündigt – ein Punkalbum. „Ich mache Musik, die die Leute absolut hassen werden“, verkündete XCX vollmundig im britischen NME. „Mir doch egal, denn ich bleibe mir dabei selbst treu.“

Zurück in die Schublade

Die Aufnahmen in Schweden bezeichnete sie als therapeutische Erfahrung. Wie wir inzwischen wissen, verschwand der ominöse Punk kurz darauf wieder in der Schublade. Der Triumph der Highschool-Hymnen „Fancy“ und „Boom Clap“ sei schlicht zu nachdrücklich, räumte XCX ein. Auf dem Überholstreifen Richtung Hitparaden-Poleposition steht Selbstfindung eben selten auf der Prioritätenliste, weshalb sich die Veröffentlichung ihres Albums bis jetzt verschob. Aus jener Punkphase ist lediglich der einminütige Song „Allergic To Love“ auf YouTube zu hören, ihr neues Album „Sucker“ gibt sich immerhin deutlich gitarrenlastiger als „True Romance“.

Charli XCX strebt dabei den schlauen Mittelweg an: Zwischen dem Erzählrahmen Highschool und rebellischer Girl-Power-Attitude tauscht die Künstlerin die nebligen Wave-Synthesizer von früher gegen einen direkteren Powerpop. Unterstützer findet sie dafür im Branchenbuch angesagter Songwriter: Stargate, Rivers Cuomo, Rostam Batmanglij und andere liefern ab.

Jene Mischpoke führt dazu, dass auf „Sucker“ der Dschungelcamp-Titelsong „Break The Rules“ einen Platz findet wie Batmanglijs Vampire-Weekend-Afrobeatadaptionen oder Oi-Oi-Oi-Refrains. Rivers Cuomo schenkte XCX sogar einen ganzen Track. „Ich sagte ihm, dass ‚Beverly Hills‘ mein Weezer-Lieblings-Song ist. Er antwortete: ‚Okay, ich habe eine Idee‘ und komponierte ‚Hanging Around‘.“ Es ist Aitchisons Haltung, die die unterschiedlichen Songs zusammenhält. Nachdem „True Romance“ insbesondere in der Queer-Community zum Hit wurde, zielt Charli XCX diesmal auf eine weibliche, junge Klientel: „Die Songtexte sind für Mädchen gedacht. Ich möchte ihnen damit ein Gefühl der Ermächtigung vermitteln.“ Der Tourneetitel „Girl Power North America Tour“ verleiht dem Nachdruck, genauso wie aktuelle Videos.

In Schuluniform ist Charli XCX da tanzend auf Schulbussen zu sehen, zum Sound von verzerrten Gitarren und synthetischen Beats. Damit kommt sie sowohl Ke$ha als auch ihrem großen Vorbild Britney Spears nicht nur optisch näher. Die Betonung von Unabhängigkeit, Rebellinnen-Geste und Bling-Bling-Tand steckt im Jahr 15 nach den Spice Girls allerdings voller Plattitüden. Einem strengeren Blick auf das konsumistische „Girl-Power“-Konzept hält Charli XCX nicht stand. Ebenso übrigens ihr seltsames Verständnis von Subversion. XCX bezeichnet „Fight For Your Right“ als Lieblings-Revolutionssong. Damit fehlinterpretiert sie – wie viele andere – die parodistische Intention der Beastie Boys.

So befindet sich die selbsternannte „Badass Barbie“ schlussendlich im Balanceakt zwischen der Proklamation einer unbiegsamen femininen Persönlichkeit und kalkulierender Star-Professionalität. Musikalisch überzeugt ihr Album mit lauten, einprägsamen Mitsinghymnen, ohne komplett verbergen zu können, dass die Britin weiter nach ihrem eigenen Sound sucht. Ohnehin plant XCX schon für die Zukunft: Ihre nächste Veröffentlichung soll sich in J-Popgefilden bewegen. MATTHIAS MANTHE