Alltag nach Kopenhagen

ANTISEMITISMUS Durch die Attentate in Paris und Kopenhagen ist die Bedrohung für europäische Juden nähergerückt. Die Stimmung unter Hamburgs Juden ist angespannt. Aber die jüdische Gemeinde ist um Gelassenheit bemüht

VON KATHARINA SCHIPKOWSKI

Eine junge Polizistin lächelt freundlich von einem Plakat. „Cop 4 U“ steht auf dem Poster, das im ersten Stock der jüdischen Joseph-Carlebach-Schule hängt. Darunter eine Telefonnummer: eine direkte Verbindung ins Polizeikommissariat 17. Das Poster hängt nicht erst seit den Anschlägen in Kopenhagen im Schulflur. Auch der Container, von dem aus die Polizei den Eingang überwacht, steht schon länger vor der Schule. Die jüdische Gemeinde Hamburg hat ihre Räume in dem Schulgebäude, eine Synagoge befindet sich darin und 200 Kinder vom Kita-Alter bis zum Abitur gehen täglich ein und aus. Wer rein will, muss am Tor klingeln und anschließend eine Schleuse passieren.

„Klar, Kopenhagen ist ziemlich nah dran“, sagt Bernhard Effertz. „Aber Angst ist ein schlechter Ratgeber. Hysterie können wir nicht gebrauchen.“ Als Vorsitzender der jüdischen Gemeinde ist er dafür zuständig, dass alles seinen geregelten Ablauf nimmt. Deshalb müsse man den Dingen unaufgeregt gegenübertreten, Ruhe bewahren und sich mit den Ursachen der Anschläge auseinandersetzen. „In Apathie oder Krieg auszubrechen, hilft uns nicht“, sagt der 69-Jährige. Gelassenheit ausstrahlen, das ist im Moment seine Hauptaufgabe. Deshalb sucht er Kontakt zu den Eltern und versichert ihnen, dass sich der Gemeindevorstand wie der Staat sehr gut um die Sicherheit der Kinder kümmerten. „Aber eine Restangst bleibt“, sagt er. Die Kinder dagegen seien heiter und ausgelassen wie vorher: „Die Kinder sind cool“, sagt der Gemeindevorsitzende, „Kinder sind Kinder.“

Nach dem Anschlag in Kopenhagen haben die Polizei und die Gemeinde die Sicherheitsmaßnahmen an der Schule verstärkt. „Mehr Wachsamkeit“, sagt der Gemeindevorsitzende, ohne Details zu nennen. Auch er selbst sei wachsamer geworden. Wenn er durchs Viertel laufe, gucke er sich aufmerksamer um. Das sei schon stressig, schließlich wolle er, wenn er durch Planten un Blomen spaziere, die ersten Krokusse bewundern und nicht die Gegend observieren. „Ich bin schließlich Hamburger und kein Berufsjude!“, sagt er.

Aber auch die ständige Wachsamkeit sei nicht erst seit der vorigen Woche da. Pegida mache die Gemeinde schon lange nervös. Der Mord an vier Juden beim Angriff auf einen jüdischen Supermarkt in Paris habe allerdings eine andere Qualität. „Aber wir wollen nach vorne gucken“, sagt er dann, „das ist die einzige Chance, die wir haben.“

Drei Minuten zu Fuß von der Joseph-Carlebach-Schule entfernt liegt das Café Leonar. Auch hier ist die Stimmung entspannt: Alle Tische des jüdischen Cafés sind belegt, Studierende und AnwohnerInnen frühstücken bis in den Nachmittag oder trinken Espresso. Sie versuchen, sich gegen den allgemeinen Lautstärkepegel über die Café-Tische hinweg zu unterhalten. Umsatzeinbußen gebe es bislang nicht, versichert ein Mitarbeiter.

Im jüdischen Supermarkt „Nashn“ an der Grindelallee dagegen ist es leer. Kein einziger Gast sitzt um 15 Uhr an den kleinen weißen Tischen des „Deli King“ im vorderen Teil des Geschäfts, wo Kaffee, Säfte und koschere Speisen serviert werden. Hinten führen ein paar Stufen hoch zum Supermarkt-Sortiment: Israelisches Gebäck, Trockenfrüchte, Süßigkeiten, Fleisch und Milch gibt es dort. Mittendrin steht im weißen Kittel und mit Kippa der Inhaber und flucht.

„Was glauben Sie denn?“, schimpft Michael Lohse auf die Frage, wie es dem jüdischen Supermarkt nach den Anschlägen von Paris und Kopenhagen gehe. Dann schimpft er auf alles, was seiner Meinung nach zu der wachsenden Bedrohungslage beiträgt: Die Bundesregierung, die beste Beziehungen zu Saudi Arabien unterhalte, während Israel allein dastehe – ein Land so klein wie Hessen, das ausgelöscht würde, wenn es einen Krieg verlöre; das alle umliegenden Länder zu Feinden habe und trotzdem als Bedrohung wahrgenommen werde. Lohse schimpft auf die Berichterstattung, die außer Betroffenheitsbekundungen nichts zustande bringe, ist wütend auf die Reporterin, die vor ihm steht. Die taz solle sich überlegen, wie sie zur allgemeinen Stimmung gegen Juden beitrage. Überhaupt gebe es für die Anschläge in Paris und Kopenhagen nur eine einzige Begründung. „Ein Wort“, ruft Lohse, „und das heißt ‚Antisemitismus‘!“

Draußen auf der Grindelallee, Ecke Rentzelstraße, steht ein graubärtiger Mann. Etwas verwirrt sieht er aus, in abgewetzen Klamotten und mit knallrotem Wollschal. Vor seinem Körper hängt ein großes, vergilbtes Schild: „Alles Gute, Israel“, steht darauf, „aber wo ist das Existenzrecht der Palästinenser?“