Alles ein Zusammenspiel

VOM NEUEN SEHEN Abends ging sie ins Kino, um die Filme von Eisenstein oder Pudowkin zu sehen, tagsüber erkundete sie die Stadt Berlin mit ihrer Rolleiflex: Die Fotografin Eva Besnyö in der Berlinischen Galerie

Es geht Besnyö nicht um Porträt oder Dokumentation, sondern vor allem um eine gelungene Komposition

VON ACHIM DRUCKS

Als Agitatorin mit der Kamera taugt sie nicht. Eva Besnyös 1933 im Budapester Armenviertel entstandene Fotografien „verfehlen streng genommen ihr kritisch-dokumentarisches Ziel“. So jedenfalls urteilt die kommunistische Tageszeitung Tribune. Das in Amsterdam erscheinende Blatt hat recht. Die 22-Jährige, die auf Grund ihrer politischen Haltung bereits zwei Mal emigriert ist, begreift sich zwar durchaus als Linke. Doch ihre ästhetischen Ansprüche will sie keiner eindimensionalen Propaganda unterordnen.

Wie richtig diese Entscheidung war, kann man jetzt in der Berlinischen Galerie sehen. Dort präsentiert „Eva Besnyö. Fotografin 1910–2003“ 120 Vintage-Prints. Organisiert wurde diese erste Retrospektive in Deutschland vom Verborgenen Museum, einer Institution, die sich seit 25 Jahren für das Werk vergessener Künstlerinnen engagiert. In den Niederlanden waren Besnyös Arbeiten in zahlreichen Ausstellungen präsent. Hier ist die Fotografin, obwohl sie 1999 mit dem renommierten Erich-Salomon-Preis ausgezeichnet wurde, kaum bekannt. In Berlin ist die Werkschau genau am richtigen Ort. Denn die Stadt hat Besnyös Arbeit am stärksten geprägt, obwohl sie hier nur zwei Jahre gelebt hat.

Eva Besnyö wächst in Budapest auf. Nach ihrer Ausbildung im angesehensten Fotoatelier der Stadt beschließt sie Ungarn zu verlassen. Unter dem antisemitischen, semifaschistischen Horthy-Regime will sie nicht leben. „Paris ist passé, zu romantisch“, so ihr Freund, der Grafiker György Kepes. Für Künstler sei Berlin die spannendere Adresse. Als sie hier im September 1930 eintrifft, hat Besnyö bereits begonnen, ihren eigenen Stil zu entwickeln. Wichtigster Einfluss war dabei Albert Renger-Patzschs neusachliche Ästhetik. Die Oberfläche und Form betonenden Aufnahmen in seinem Buch „Die Welt ist schön“ werden für sie wegweisend.

Die neue Freiheit in Berlin beflügelt die junge Fotografin. Abends geht’s ins Kino, um die Filme von Eisenstein oder Pudowkin zu sehen. Tagsüber erkundet sie die Stadt mit ihrer Rolleiflex – fotografiert die Bauarbeiten am Alexanderplatz, spielende Kinder, junge Besucher im Strandbad Wannsee. Die Aufnahme von drei sich aneinanderschmiegenden Jugendlichen beim Sonnenbad transportiert die lässige Sinnlichkeit eines Sommertags und ist in ihrer Bildsprache zugleich absolut up to date. Bahnhöfe und Gleisanlagen lässt sie als Liniengeflechte erscheinen, Straßen zeigt sie aus der Vogelperspektive, Menschen in Rückenansicht.

Es geht Besnyö nicht um Porträt oder Dokumentation, sondern vor allem um eine gelungene Komposition. Die Aufnahme eines Kohlearbeiters ist weniger Sozialreportage, sondern vor allem ein Zusammenspiel von Form und Struktur, Licht und Schatten. Und sie zeigt ihre Begeisterung für eines der wesentlichen Stilmittel der modernistischen Fotografie: „In Ungarn lag die Diagonale in der Luft, in Berlin ging sie durch mich hindurch.“ Das optische Vokabular des vor allem von ihrem ebenfalls in Berlin lebenden Landsmann Moholy-Nagy geprägten Neuen Sehens benutzt sie souverän, experimentiert mit ungewohnten Perspektiven und Bildausschnitten.

Von ihrem privaten Glück zeugen die Aufnahmen, die im Sommer 1932 an der Ostsee entstehen. Am Strand fotografiert sie ihren Freund, den holländischen Kameramann John Fernhout, spielerisch in Unter- und Aufsichten. Nur kurze Zeit später entschließt sie sich, zum zweiten Mal zu emigrieren. In einem Land, in dem die Nazis immer stärker werden, sieht sie als Jüdin für sich keine Zukunft und folgt Fernhout nach Amsterdam. Dort wird sie Teil eines linksintellektuellen Kreises, dessen Mitglieder sie immer wieder porträtiert. Ökonomisch, aber auch künstlerisch bedeutsamer sind allerdings ihre Architekturaufnahmen. Die formale Qualität ihrer Bildsprache erweist sich als ideal, um die rationalistische, transparente Architektur des Neuen Bauens adäquat in Fotografie umzusetzen.

1940 entstehen Aufnahmen, die sie später als Todesstoß ihrer ästhetischen Fotografie bezeichnen wird. Überwältigt vom visuellen Reiz fotografiert sie die Trümmerlandschaften im zerbombten Rotterdam. Als reine Kulissen, ohne Kontext, ohne die Auswirkungen der Katastrophe auf die Menschen zu zeigen. Diese Aufnahmen bilden fast einen Schlusspunkt in ihrem Werk. Die Ausstellung zeigt dann auch nur wenig von dem, was nach dem Krieg entstand. In den 1970ern findet Besnyö noch einmal ein Thema, das sie fesselt. Sie dokumentiert die Aktionen der Dollen Minas und wird sogar selbst zur Aktivistin dieser holländischen Emanzipationsbewegung. Eigensinnig bleibt sie ihr Leben lang: den Ritterorden, der ihr von der Königin verliehen werden soll, lehnt sie schlichtweg ab.

■ Eva Besnyö, bis 27. Februar 2012, Berlinische Galerie, Mi.–Mo. 10 bis 18 Uhr Katalog, Hirmer Verlag, 39,90 Euro