Quäl dich, du Sau!

Schwitzen und Keuchen: Der Modetrend Pilgern treibt die Globalisierung voran

Nur noch ein knappes Stündchen, dann ist der Gipfel erreicht. Mühsam schiebt der Oberstudienrat seinen Waschtrommelbauch den Berg hinauf. Wenn nur der verdammte Rucksack nicht wäre. Das Ding macht die Pilgertour langsam unerträglich, es ist einfach zu schwer. Das sieht er jetzt ein. Nächstes Mal bleibt der Laptop daheim, E-Mail und Aktienkurse lassen sich doch auch prima vom Hotel aus checken. Und wozu braucht er das Fernglas und all den Plunder. Alles viel zu schwer.

Seine Frau war schlauer. Ein paar T-Shirts, Socken, Waschzeug, Ersatzhose und Nylonmantel für schlechtes Wetter – mehr hat die Mastelfe nicht dabei. Nur ihr Handy hat sie mitgenommen. Das verdammte Handy. Damit nervt sie den ganzen Tag, ruft ihre Freundin an („Wir haben gerade einen wunderschönen Blick ins Tal“) – oder, zwischen Hohlweg und Geröllhalde, ihre Mutter („Ich mach’ die Mandeltart immer ohne Mehl“). Nichts mit „innerer Ruhe“ und „mal ganz auf sich selbst besinnen“. Damit hatte sie ihn zu dieser Pilgertour überredet. Denn spätestens seit Hape Kerkeling sind Kreti und Pleti am Pilgern, auf Prosieben machen sie eine Pilgershow mit C- und D-Promis, und irgendwelche Mittelalterforscher sind schon auf den Spuren eines Ur-Kerkelings aus der Gegend des Braunkohle-Tagebaus von Grevenbroich. Ähnlichkeiten zwischen dem heutigen Pilgerboom und den damaligen Reisen zum Ablass der Sünden sehen Mittelalterforscher auch. Schließlich hat es um 1500 bereits eine „erste Globalisierung“ gegeben.

Die Globalisierung unter heutigen Pilgern ist anders: Während zwölf Hindu-Pilger bei einer Massenpanik vor einem indischen Tempel getötet werden, sich 250.000 katholische Pilger zum Jahrestag der Marienerscheinungen dreier Rotzlöffel im portugiesischen Fátima versammeln, muslimische Straßenkinder vorsätzlich verstümmelt werden, damit sie an den Pilgerstätten Mekka und Medina als Bettler hohe Erlöse erzielen, weil die Gläubigen ihrer religiösen Pflicht mit Almosen nachkommen müssen – ist die ganze Pilgerei hierzulande nichts weiter als ein angesagter Modetrend.

Glücklicherweise ist der bald wieder vorbei. Der Deutsche hat’s gern bequem. Brütende Hitze, Blasen an den Füßen und ein stramm sitzender Rucksack mit einem daran befestigten zweiten Paar Schuhe, die einem in der Kniekehle baumeln – das ist alles andere als Freiheit. Und wenn inzwischen schon Sateinsprosieben am Pilgern ist, dann ist der Hype endgültig vorbei.

Oder auch nicht: Der Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern hat auf das steigende Interesse an Sakralbauten und Pilgerwegen reagiert und drei Klosterrouten in seine neue Backsteingotik-Broschüre aufgenommen. Einen Vorteil hat die neue Pilgerei gegenüber den Nordic Walkern: Sie nervt nicht, die Konfrontation ist freiwillig. DIETER GRÖNLING