Ich, wer ist das?

ENTDECKUNG Die hermetische Gedankenwelt der Klangforscherin Ursula Bogner erweist sich als Irrgarten

VON KATHA SCHULTE

„Ist denn die Sonne eine Blackbox?“, heißt es im Titelstück des neuen, zweiten Albums von Ursula Bogner. „Ob man die Nacht abschaffen kann“, fragt Ursula Bogner weiter. Die Nacht oder die Macht? Fragen, die in den siebziger Jahren, Bogners hier dokumentierter Schaffensphase, in der Luft lagen. Ist Ursula Bogner selbst eine Blackbox? Womöglich ist sie eine Erfindung.

Alles, was über sie bekannt ist, ist durch ihren Nachlass über sie bekannt. 1946 geboren, war Ursula Bogner Pharmazeutin mit Interesse an Astrophysik und Musique Concrète, sie besuchte Seminare beim Elektronikpionier Herbert Eimert in Köln und hing Wilhelm Reichs Theorie einer kosmischen Lebensenergie an, die er Orgonenergie nannte. Verheiratet, Kinder, Einfamilienhaus. Sie starb 1994. Auf den Fotos, die sie zeigen, könnte sie irgendjemand sein; nicht unbedingt irgendjemands Mutter.

Möglicherweise hat der Berliner Musiker Jan Jelinek den Sohn von Ursula Bogner an Bord eines Flugzeugs kennen gelernt und auf diese Weise Zugang zu ihrem bis dahin unveröffentlichten Werk erhalten. Möglicherweise ist das aber auch nie geschehen. Aufschluss über das Innere einer Blackbox, so einst der Mathematiker René Thom, erhält man nur, indem man mit ihr spielt. „Ursula Bogner“, das klingt modern und verstaubt. Wie ein verblüffend funktionaler Ski-Einteiler aus der Altkleidersammlung. Doch anders als ein abgelebtes Vergangenes werden dem Publikum Ursula Bogners Werke vorgeführt. Sie nimmt mit ihrem Werk Gestalt an, und nur durch dieses.

Das Ursula-Bogner-Kontinuum ist ein seltsamer, erratischer Zusammenhang aus musikalischen und kosmologischen Notaten und Zeichnungen. Den Verbindungen zwischen den Strukturgesetzen des Universums, Wilhelm Reichs Orgonlehre und seiner revolutionär verstandenen Sexualpolitik mag nachgehen, wer will, wie im dem Album beiliegenden Textband ausgiebig geschehen.

Kryptisches Logbuch

Ursula Bogners Zettelkasten, der derzeit im Hamburger Künstlerhaus Frise zu sehen ist, veranschaulicht die Offenheit der Bezüge. In ihren Kompositionen über Planeten, Strahlungen und sonstwie fest-flüssige Erscheinungen manipuliert Bogner elektronische und instrumentale Klänge sowie die menschliche Stimme. Die 15 etwa zweiminütigen Tracks auf „Sonne = Blackbox“ erscheinen wie das kryptische Logbuch einer Exkursion ins Abgelegene. Gegenstand der meisten Zeichnungen ist die Verteilung von Punkten in der Ebene. Wozu sie dienen, ist unklar: Stellt eine Zeichnung, die den Titel „Schema“ trägt, selbst ein Schema dar oder ist sie autonomes Kunstwerk? Ist sie technische oder freie Zeichnung? Aus dieser Unklarheit beziehen die Arbeiten und ihre Titel im muffigen Möglichkeitsraum eines hölzernen Zettelkastens ihre poetische Brechung.

Beim Stück „Nach Europa 1977“ läuft ein Weberknecht über den Tisch. Zu hören ist eine computerisierte Entwicklung mit Zuspitzungsmoment und schließlichem Abflauen; ich habe nichts zu tun, betrachte das Tier und begreife, dass ich es nicht töten sollte. Ja, ich sollte mich noch nicht einmal davor ekeln. Es geht über den Tisch in seiner unmotivierten und ziellosen Art, und ich weiß noch viel weniger von mir als ich von ihm.

Ursula Bogners Musik erschafft dieses Tier als einen Schleichweg der Schöpfung. Am Ende ist es, als erhöbe sich ein Heuschrecken- oder Vogelschwarm. Ich weiß noch immer nicht genau, worum es hier geht. Doch ich mag es, wenn Bogner Sachen sagt wie „abgeschrägtes Dodekaeder“. Aber ich, wer ist das schon? Auch so ein Ding, über das man nur etwas erfährt, wenn man damit spielt.

■ Ursula Bogner: „Sonne = Blackbox“. Box mit CD (faitiche/Indigo) und Buch (Maas Media Verlag);

am 26. Oktober spielen Jan Jelinek und Andrew Peckler Kompositionen Ursula Bogners im Hamburger Künstlerhaus Frise