die taz vor zehn jahren über die intellektuellen und den tod von prinzessin diana
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Die Intellektuellen werden vom Strom des öffentlichen Bewußtseins mitgerissen, das sich jetzt mit Diana beschäftigt. Aber sie strampeln dagegen. Man merkt an ihren Kommentaren, daß ihre Faszination von zwei Impulsen bekämpft wird: einem republikanischen und einem elitären. Der republikanische Impuls verbietet es ihnen, sich mit Monarchen zu beschäftigen. Ihre Gleichheitsüberzeugung duldet deren Erhöhung nicht. Nur in Wartezimmern blicken sie in die Zeitungen der Unterklasse, die sich nicht geniert, ein königliches Baby im Taufkleid zu betrachten. Und daher kommt der zweite Impuls, der die Intellektuellen bei ihrer jetzigen Faszination so verlegen macht: It’s not quite our class – die Beschäftigung mit solchen Ikonen.

Die Bewegung, die Dianas Tod ausgelöst hat, wird sich darüber hinwegsetzen. Es ist die Bewegung der unteren Millionen – der unteren Milliarden, so muß man angesichts der Einschaltquote sagen. Dianas Tod ist ein spirituelles Ereignis. Darf man sie als Heilige ansehen? Auch die Heiligen hatten Schwächen. Aber sie produzierten in der Phantasie die richtigen Bilder. Die Visualisierung des Guten und Schönen bestand in dem Bild eines sich dem Kranken und Schwachen zuwendenden Menschen – sie schien ein Blick in den Himmel zu sein. So ist Franz von Assisi ein Heiliger, weil das Bild eines die Aussätzigen umarmenden Yuppies Leuchtkraft entfaltete.

Im Mittelalter sah das Volk Bilder nur in der Kirche. Die Heiligenbilder konkurrierten nicht mit der TV-Werbung. Was für eine Anstrengung muß es den Weltgeist gekostet haben, wieder einmal das Imago des Guten durchzusetzen. Er wählte sich als Bühne ein Königshaus und als Darstellerin ein schönes junges Mädchen. Und er ließ Mutter Teresas Tod mit dem Ereignis zusammenfallen. Was Diana in Schönheit symbolisiert, hat Mutter Teresa im Staube gelebt. Der Spot, der die Umarmung der beiden zeigt, könnte von Giotto gemalt sein. Sibylle Tönnies taz vom 8. 9. 1997