Auf der Flucht mit Bruckheimerle

TV-EVENT In „Bermuda-Dreieck Nordsee“ lässt es Produzent Stefan Raiser wieder ironisch krachen (So., 20.15 Uhr, RTL)

„Ich glaube einfach, dass zu viele meiner Kollegen lasche Pfeifen sind“

DREAMTOOL-PRODUZENT STEFAN RAISER

VON JOCHEN VOSS

Am Sonntagabend droht bei RTL das Kreuzfahrtschiff „MS Dreamtool“ zu versinken – im Hexenloch, das ein profitgieriger Energiekonzern aufgerissen hat, weil er allen Warnungen zum Trotz CO2 im Meer eingelagert hat. Sequestrierung heißt das Verfahren. Das gibt es wirklich. Das Hexenloch auch. Und auch die Dreamtool gibt es. Irgendwie. Sie ist die Produktionsfirma von „Bermuda-Dreieck Nordsee“. In den Hauptrollen: Bettina Zimmermann, Hannes Jaenicke und Gudrun Landgrebe.

Als Produzent steht Stefan Raiser – gemeinsam mit Felix Zackor, Gründer und Chef von Dreamtool Entertainment – hinter dem Film. Raiser fällt auf. Nicht nur durch den selbstreferenziellen Humor in seinen Produktionen, sondern vor allem durch die Kompromisslosigkeit, mit der der 39-Jährige große Spektakel ohne den in diesem Genre manchmal recht hohen Fremdschämfaktor herstellt.

„Bermuda-Dreieck Nordsee“ (Regie: Nick Lyon; Buch: Nikolaus Kraemer) hat nur einen wesentlichen Anspruch: Unterhaltung. Eskapismus nennen das die Experten, Popcornfernsehen die Macher, die den Film aufs RTL-Publikum zugeschnitten haben. Das ist kein Makel, sondern zeugt von Mut – die Fallhöhe ist groß.

Eskapismus für alle

Peinliche Billigware kann sich RTL am Sonntagabend nicht leisten, denn das ist einer der am härtesten umkämpften Sendeplätze der Privaten – das einzige wesentliche Zeitfenster, in dem RTL nicht konsequent den Platzhirschen gibt. Für den Kölner Sender hat Dreamtool schon nach dem Schatz der Nibelungen und der heiligen Lanze gesucht. Die Dreharbeiten für die Jagd nach dem Bernsteinzimmer sind gerade zu Ende gegangen.

Es ist nicht die Handlung, die „Bermuda-Dreieck Nordsee“ bemerkenswert macht – die folgt den Gesetzen des Genres: böser Konzern gegen friedliche Hallig-Bewohner, die von einer geläuterten PR-Managerin unterstützt werden. Die Figuren bleiben ohne Tiefe, das Ökothema bietet nicht viel mehr als Kulisse für Action und Intrigen. Zwar freut sich Produzent Raiser, wenn er mit seinem Film das brisante Thema einem größeren Publikum bekannt machen kann. Er sei aber auch nicht „die Mutter Teresa der Gegnerfront“. Er will unterhalten, aber zumindest die wesentlichen Fakten sollen stimmen.

Das Bemerkenswerte ist die Konsequenz, mit der das Team mehr aus dem Film rausholt, als das mit 5,7 Millionen Euro bereits verhältnismäßig hohe Budget eigentlich hergibt. Production Value heißt das in der Fachsprache und ist ein wichtiger Faktor, auch beim Auslandsverkauf. Deutsche TV-Fiktion ist ein Exportschlager in allen Preisklassen – von ganz billig bis ganz teuer. Das Geheimnis liegt in der Relation: Wie viel Schauwert lässt sich aus einem Euro rausholen? Das können deutsche Produzenten sehr gut. Raiser ist ein Meister darin.

Auch wenn er in seinen Schatzsuchen die mystischen Stätten der deutschen Geschichte RTL-mäßig verzerrt und mit viel unnötigem, aber umso effektvollerem Licht auf dem Bildschirm zum Leben erwecken kann – aus einem Euro zwei machen kann selbst Raiser nicht. „Es geht darum, das Team zu motivieren, damit es sich für den Film zerreißt“, erklärt er. Sich selbst sieht er als „Zirkusdirektor“: „Ich komme abends in die Manege und mache großkotzige Ansagen – aber das Team setzt alles um.“

Das hat ihm den Namen Bruckheimerle verpasst – in Anlehnung an die schwäbische Herkunft und an Hollywoodproduzent Jerry Bruckheimer („Fluch der Karibik“, „CSI“). Eins fehlt ihm in der hiesigen Branche, in der in vielen noch das „Autorenfilmer-Gen“ schlummere: „Man muss schon über sich selbst lachen können – vor allem, wenn man so überzieht, wie wir das tun.“

Sex für die Augen

Bruckheimerle will mit seinen Events „auf die Kacke hauen“. Ein RTL-Abenteuerfilm darf für ihn nicht wie eine ZDF-Komödie aussehen. „Da macht man einfach alles ein bisschen heller und zieht sich bunte T-Shirts an, damit alle merken, dass es Unterhaltung sein soll“, sagt er. Sein Maßstab ist ein anderer. Sein Programm nennt Raiser „Sex für die Augen“. Immer wieder. Journalisten freuen sich über die Schlagzeile, das Team raunt: „Da war es schon wieder.“

Was guten Sex ausmacht, ist für Raiser recht simpel: „Dass es Spaß macht natürlich. Und dass es befriedigend ist.“ Doch da gibt es noch den Unterschied zwischen schneller Nummer und perfekter Verschmelzung. Im Fernsehen heißt das: Wo läuft’s, wer schaut’s, kommt Werbung? Arte oder RTL – die Geschmäcker sind verschieden. „Bei Arte muss ich die Zuschauer davon abhalten, mit dem iPad zu spielen. Bei RTL muss ich mich mit einer ganz anderen Schlagzahl gegen die Hollywoodkonkurrenz behaupten“, erklärt Raiser.

Vor allem wenn es um Unterhaltung geht, „versuppt“ die Filmbranche für ihn in der Mittelmäßigkeit – aus Angst, den Kopf herauszustrecken. Ihm fehlen Persönlichkeiten, die sich mit Leidenschaft an einen Film klammern anstatt an ihren Job. „Ich glaube einfach, dass zu viele meiner Kollegen einfach lasche Pfeifen sind“, sagt er in ruhigem Ton, voller Leidenschaft, aber ohne Pose. Sich selbst bezeichnet er als „angstfrei – auch wenn es keiner glaubt“. Sollte niemand mehr mit ihm arbeiten wollen, würde er auch wieder bei der Müllabfuhr mitfahren. Das hat er zu Studentenzeiten schon gemacht – in den Jahren an der Filmakademie Ludwigsburg, in denen teamWorx-Chef Nico Hofmann sein Lehrer war.

„Mir begegnet extrem selten jemand, bei dem ich das Gefühl habe, dass sein Herz in Flammen steht“, hat Raiser festgestellt. Ausnahmen kenne er nur wenige: „Traumschiff“-Produzent Wolfgang Rademann, den verstorbenen Bernd Eichinger. Nico Hofmann kommt in Raisers Aufzählung nicht vor. Dennoch gehört der Regisseur und Produzent für ihn „in der ewigen Ahnengalerie ganz oben auf ein Podest“. Mit Filmen wie „Dresden“, „Die Sturmflut“ und „Die Luftbrücke“ habe Hofmann schließlich „das Eventfernsehen erfunden und den Menschen in den Sendern beigebracht, dass so etwas viele Millionen Euro kostet“.

Offenbar hat Raiser das Konzept weiterentwickelt. Immerhin hat er es geschafft, einen Sender wie RTL , der es nicht nur krachen lässt, sondern auch penibel auf die Zahlen schaut, davon zu überzeugen, das teure Feuerwerk an nur einem Abend abzufackeln, statt den Film, wie in Deutschland üblich, an zwei Abenden in die Länge zu ziehen. Ganze 140 Minuten soll „Bermuda-Dreieck Nordsee“ die Zuschauer vor dem Fernseher halten – plus Werbung.

Der teamWorx-Zweiteiler „Vulkan“, der vor zwei Jahren bei RTL lief und auch eine fiktive Katastrophe zum Thema hatte, war Raiser „zu klein, zu betulich, zu deutsch“. Der Film habe aber „eine schöne Quote“ gemacht. „Vielleicht liege ich auch völlig falsch mit meinem amerikanischen Over-the-Top-Stil, und niemand will das sehen“, sinniert der Dreamtool-Chef im Vorfeld der Ausstrahlung. Dann darf ihm RTL-Fiction-Chefin Barbara Thielen den Kopf abreißen, wenn am Montag die Quoten kommen.

Reizfigur für RTL

Es wäre wohl nicht der erste Knall zwischen Produzent und Sender. Raiser weiß: „Bei RTL schlagen sie die Hände über dem Kopf zusammen, wenn sie bloß meinen Namen hören.“ Fiction-Chefin Thielen habe sich „weggeschämt“ angesichts des sogar für RTL-Verhältnisse pathetisch-verklärten Endes des Nordsee-Films. „Sie wollte aber nicht noch länger drüber streiten.“ Raiser selbst hat die Szene mit sektenartigem Duktus und dick aufgetragenem Weltverbessererpathos geschrieben, geschnitten und intoniert. „Mir war von vornherein klar, dass ich dafür Dresche kriege. Aber genau so wollte ich es haben“, sagt er lachend. Was für ihn zählt: „Ich habe mich was getraut.“ Alles eine Frage des Selbstbewusstseins. Schließlich inszeniert der deutsche Regisseur Roland Emmerich seine Hollywoodfilme auch patriotischer als jeder Amerikaner.

Immer wieder läuft es bei Raiser auf die USA als Referenzpunkt hinaus. Er würde gern dort arbeiten. „Aber man muss realistisch sein und erkennen, dass ich im falschen Land geboren wurde.“ Kaum ein deutscher Produzent sei dort glücklich geworden. Er sieht sich indes als „idealen Mann an der Front“ für Koproduktionen, weil er beide Kulturen versteht. Es ist wohl Fluch und Segen zugleich: Drüben wäre er nur einer von vielen. Hier im Land der begrenzten Möglichkeiten ist er Bruckheimerle.