Purzelbäume der Geschichte

Die taz, die RAF und die Stasi – ein Dreiecksverhältnis voller Überraschungen. Erinnerungen einer taz-Mitbegründerin

RAF-Angehörige wurden für ihre Wünsche nach militanter Fitness Ende der Sechzigerjahre in palästinensischen Ausbildungslagern trainiert – das allein wird in der linken Rezeption jener Jahre noch nicht als hinreichendes Indiz für den verkappten Antisemitismus in der militanten linken Szene gesehen.

In der Tat wurde von Ulrike Meinhof stets betont, dass ihre Kritik an Israel eine antizionistisch inspirierte sei. Aber: Das Attentat palästinensischer Terroristen auf die israelische Olympiaequipe 1972 in München wurde von Meinhof heftig begrüßt. Von ihr stammt dazu der Satz: „Israel vergießt Krokodilstränen. Es hat seine Sportler verheizt wie die Nazis die Juden.“

In Westberlin plante Dieter Kunzelmann mit anderen Ende der Sechziger ein – gescheitertes – Attentat auf das Jüdische Gemeindehaus. Der Politaktivist mokierte sich über den „Judenknax“, unter dem die Deutschen zu Unrecht litten. Beifällig aufgenommen wurde im Umfeld der RAF auch, dass ein palästinensisches Kommando bei einer Flugzeugentführung 1976 im ugandischen Entebbe die Passagiere nach ihrer israelischen Herkunft selektierte. JAF

VON UTE SCHEUB

Ohne RAF und Deutschen Herbst hätte es die taz nie gegeben. Ihre Geburtsstunde war das schockierende Erlebnis, dass sich alle Medien während der Schleyer-Entführung freiwillig der Nachrichtensperre der Bundesregierung unterwarfen.

Wir, die wir später zur Gründergeneration der taz wurden, hatten das Gefühl, schutzlos zwischen den Fronten zu stehen, unserer Sprache und Sprachmittel beraubt, eingeklemmt zwischen Staat und Terroristen, die wir beide ablehnten. Die RAF verlangte von uns absolute Solidarisierung mit ihren vermeintlich „durch Isolationshaft gefolterten“ Gefangenen: „Mensch oder Schwein, etwas Drittes gibt es nicht.“ Die Politiker verlangten absolute Solidarisierung mit dem „bedrohten Staat“: „Staatsbürger oder Terrorsympathisant, etwas Drittes gibt es nicht.“

Diese traumatischen Erfahrung verband all die linken Zirkelchen, die sich zwischen 1977 und 1979 in den verrauchten Spelunken und Szenetreffs von zuletzt über 30 Städten trafen, um das Projekt linke Tageszeitung zu diskutieren. Die neue Zeitung sei „die Frau meiner Träume“, schrieb uns Fritz Teufel aus dem Knast; später arbeitete er zeitweise als Setzer bei der taz. Sie war unser aller Traumfrau, und vor allem war sie die große, dicke Mama, die uns schützen sollte, unter deren breitem Zeitungsmantel wir uns verkriechen wollten, wenn uns der böse Vater Staat noch einmal ans Leder wollte.

Die RAF als roter Faden

Die Auseinandersetzung um das „Projekt Stadtguerilla“ zogen sich wie ein roter Faden durch die Gründerjahre. Wir fühlten uns verpflichtet, über die – wie wir damals glaubten – schrecklichen Haftbedingungen der RAF-Gefangenen zu berichten, gleichzeitig wollten wir uns unsere Kritik am bewaffneten Kampf nicht nehmen lassen. Schon die zweite Nullnummer forderte auf der Titelseite – redaktionsintern heiß umstritten – Amnestie für alle RAF-Gefangenen. Und just ein ideologisch abtrünnig gewordenes Mitglied der RAF, Wolfgang Grundmann, war nach seiner Haftentlassung verantwortlich für die Berichterstattung über dieselbe. Der Arme, er hatte wirklich einen schweren Stand, er konnte es keiner Seite recht machen. Entweder die Antifaszene stattete ihm respektive uns eine ihrer entzückenden Besetzungen ab – oder Polizei und Staatsanwaltschaft. Die einen verlangten, dass wir revolverkalte Kommandoerklärungen abdruckten, die anderen, dass wir diese zu Fahndungszwecken herausgaben.

Die erste Besetzung wurde nicht einmal zwei Monate nach Inbetriebnahme der täglichen taz uraufgeführt, damals forderten die „Antifas“ den Abdruck von gleich 9 Hungerstreik-Erklärungen aus RAF und Bewegung 2. Juni. Wir rächten uns, indem wir alle zusammen auf eine Seite quetschten – und sie nur noch mit einer Lupe lesbar waren. Bei späteren Besetzungen gaben wir nicht mehr nach, weil wir sonst gleich unsere Selbstauflösung hätten beschließen können. Die letzte Besetzung fand 1989 statt – kurz vor dem Mauerfall.

In der Folgezeit gaben die Stasiakten so manche Überraschung frei. Wir erfuhren, dass mehrere aus dem Umfeld des bewaffneten Kampfes als Stasispitzel gearbeitet und auch taz-Interna weitergegeben hatten: Klaus Croissant, Brigitte Heinrich und Till Meyer. Letzterer, ein früheres Mitglied der Bewegung 2. Juni, hatte von 1987 bis September 1989 die Redaktion mit seinen Machosprüchen beglückt. Der frühere RAF-Anwalt Croissant, Anfang der Achtziger kurzzeitig bei der taz angestellt, hatte bei jeder Gelegenheit auf das „Counterblatt“ geschimpft, in dem „imperialistische Propagandamanöver ihren festen Platz haben“. 1993 stellte das Berliner Kammergericht fest, er habe die linke und grüne Szene seit 1981 für die Stasi ausspioniert und auch seine frühere Lebensgefährtin Brigitte Heinrich der Stasi zugeführt. „IM Taler“, wie er dort hieß, hatte auch einzelne taz-Redakteure denunziert, beschrieb sie als „dubiose Type“ und als „feindlich negative Kräfte“. Croissant starb 2002.

Ich persönlich hielt Till Meyer für ein Großmaul und Klaus Croissant für einen Kotzbrocken. Anders erging es mir mit Brigitte Heinrich, die von 1981 bis 1984 bei der taz angestellt war und 1987 verstarb. Ohne sie hätte es keine Frauenquote in der taz gegeben und ohne die taz-Quote keine bei den Grünen, keine bei der SPD, bei der CDU, vielleicht auch keine Kanzlerin Merkel …

Streik und Frauenquote

Als Ende 1980 in der taz ein Frauen-Folter-Comic erschien, verantwortet von einem Leserbriefredakteur, traten wir taz-Frauen kollektiv in den Streik. Eine Woche lang. Während die männlichen tazler auf den Brustwarzen zu krauchen begannen, stellten wir unsere Forderungen auf: 52 Prozent aller Stellen für Frauen, Vetorecht bei Texten und Bildern, die weibliche Sexualität darstellten. „Die werden uns Prüderie vorwerfen“, befürchteten einige. „Dann werden wir ihnen das Gegenteil bewiesen“, erwiderte Brigitte Heinrich, die damals noch nicht für die Stasi arbeitete. Wir stellten dem Plenum, diesem obersten Organ der tazokratie, unsere Forderungen vor. Und fühlten eisige Ablehnung. „Ihr seid doch nur prüde!“, warf ein Anzeigenakquisiteur prompt in die Runde. Wie vereinbart zogen wir Pullover und Blusen aus und ließen unsere wunderbar geformten Brüste hüpfen. Verblüffung. Zuerst ein zartes Kichern, dann überall Grinsen, Lachen, Prusten. Die erste Frauenquote in der Bundesrepublik Deutschland ward durchgesetzt. Wenn Brigitte Heinrichs späterer Stasioffizier das gewusst hätte – vielleicht hätte er sie dann nicht angeworben?

Anfang der Neunzigerjahre wollte ich in der Gauck-Behörde wissen, was die Stasi dank ihrer Zuträger über mich wusste. Ich schlug die erste Seite meiner Stasiakte auf und las: „Ute Scheub ist Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes.“ Heiliger Bimbam! Nein, nicht Croissant & Co. hatten mich denunziert, es war ein übereifriger Beamter gewesen, dem 1987 bei einem Urlaubsabflug aus Ostberlin mein Notizbuch in die Hände gefallen war. Ein Anrufer in der Redaktion hatte mir mitgeteilt, er sollte vom Verfassungsschutz angeworben werden, und ich hatte notiert: „VS“, „Lohn 400 bis 600 Mark“ und ähnlich Verfängliches. Die messerscharfe Schlussfolgerung der Stasi: Die ist bei der Konkurrenz. Dabei existierte auch dort eine dicke Akte über mich. Meine messerscharfe Schlussfolgerung: Die Frauenquote ist eine Erfindung von RAF und Stasi.

UTE SCHEUB, Jahrgang 1955, lebt als Journalistin und Autorin in Berlin. Sie schrieb das Buch: „Das falsche Leben – eine Vatersuche“, Piper, München 2006, 304 Seiten, 18,90 Euro