Roms Straßentheater

Das Erste, das man morgens in der Gasse hörte, war die schrille Stimme von Agata. Dann das Scheppern eines schweren Fensterladens. Dann wieder die dicke Agata, die ihren dünnen Mann ausschimpfte. Alle Anwohner des Borgo Pio wussten jetzt: Das Eisenwarengeschäft Pieroni Ferramenta war geöffnet. In dem winzigen Laden, an der Ecke zur Via del Falco, gab es alles: Nägel, Kabel, Metallteile aller Art, Bohrmaschinen, Schraubenzieher und Schlüsselanhänger. Bei Agata trafen sich die Handwerker des Borgo, wie das kleine Viertel mit den verwinkelten Gassen bis heute genannt wird. Schirmmacher, Schreiner, Blechner und Holzmaler hatten sich hier, im Schatten des Vatikans, seit dem Mittelalter angesiedelt. Denn wo der Papst residierte, gab es immer was zu bauen und zu reparieren.

Agata ist Mitte der 90er Jahre gestorben und ihr dünner Mann hat den Laden zugemacht. Da gab es aber auch schon den Blechner und die letzte Glockengießerei des Borgo nicht mehr. Das Kirchenjubiläum 2000 stand vor der Tür und der Vatikan brauchte mehr Platz für Hotels, Restaurants und Souvenirläden. Er eroberte sich den Borgo zurück, der seit jeher ein Viertel der einfachen Leute und der populären römischen Theater- und Gesangskultur gewesen war. Der Komponist und Oscar-Preisträger Nicola Piovani erzählt von seinen Kindheitserinnerungen im Teatro Castello, das später ein Pornokino wurde. Heute residiert hier die katholische Universität Lumsa.

Sakrales und Profanes war im Borgo immer vertreten. Im 12. Jahrhundert gaben sächsische Pilger der Ansiedlung mit dem deutschen Wort „Burg“ ihren Namen. Im 19. Jahrhundert kämpften die Bewohner für die Unabhängigkeit Italiens und dagegen, ein Teil des Kirchenstaats zu werden. Doch der Geldregen des Kirchenjubiläums und die Touristenfluten haben den Borgo verändert. In die Werkstätten sind Fast-Food-Restaurants und Bars eingezogen. Viele Wohnungen sind B&Bs oder Pilgerunterkünfte geworden.

Aber im hinteren Teil des Borgo Pio, Richtung Porta Castello, spürt man an stillen Tagen den alten Flair. Hier gibt es noch den Bäcker, den Polsterer und die Bar Giuliani, wo der älteste Holzkühlschrank der Stadt steht und wo man einen himmlischen Cappuccino schlürfen kann. Gegenüber von Agatas Eisenwarenladen, wo jetzt Ledertaschen in der Vitrine stehen. MICHAELA NAMUTH