Unsicheres Territorium

GEFECHTE In Tripolis und anderen Landesteilen wird noch gekämpft. Gaddafis Verbleib weiter unklar. Opposition kündigt Wahlen an

ROM/TRIPOLIS dpa/dapd/afp/taz | Die libyschen Rebellen wollen im kommenden Frühjahr Parlaments- und Präsidentenwahlen ausrichten. Der Vorsitzende des Nationalen Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, kündigte Wahlen acht Monate nach dem Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi an. „Wir wollen eine demokratische Regierung und eine gerechte Verfassung“, sagte Dschalil der römischen Tageszeitung La Repubblica in Bengasi. „Vor allem wollen wir nicht mehr isoliert sein von der Welt, wie wir es bisher noch sind.“

Dschalil sicherte im Übrigen zu, dass in dem befreiten Libyen die Menschenrechte und der Rechtsstaat respektiert werden sollen. Das neue Libyen werde besondere Beziehungen zu den Ländern unterhalten, „die unseren Befreiungskampf von Anfang an unterstützt haben“. Libyen werde ein volles Mitglied der internationalen Gemeinschaft sein und alle zuvor eingegangenen Verträge achten. Er wolle keine Racheakte und Exekutionen, sondern dass Gaddafi und seine Familie gefangen und vor Gericht gestellt würden, sagte Dschalil.

Doch wo der bisherige Machthaber sich aufhält, war am Mittwoch auch nach der Eroberung seines festungsartigen Anwesens in Bab al-Asisija weiter unklar. Es ist bekannt, dass der Mann, der Libyen 42 Jahre beherrschte, von deutschen Ingenieuren einen Bunker unter der Residenz Bab al-Asisija bauen ließ. Auch gibt es Hinweise darauf, dass der Komplex über lange Tunnel an andere Orte in der Hauptstadt angeschlossen ist. Ob es sie gibt, ist umstritten.

Als die Rebellen das Gelände am Dienstagnachmittag einnahmen, fanden sie große Mengen an Waffen, einen der Golfwagen, mit denen sich Gaddafi fortbewegte, die Beduinenzelte, in denen er Empfänge abhielt – aber nicht Gaddafi selbst. Keiner weiß genau, ob er in den vergangenen Wochen überhaupt in der Residenz gewesen ist.

Zwei Städte sind bisher noch unter der Kontrolle der Gaddafi-Kräfte: zum einen Gaddafis Heimatstadt Sirte an der Mittelmeerküste und zum anderen die Stadt Sebha, etwa 650 Kilometer südlich von Tripolis in der Sahara. Sebha verfügt über einen großen Militärflughafen. Sollte Gaddafi es hierher geschafft haben, steht ihm auch der Fluchtweg in die Nachbarstaaten offen.

Wichtiger als der Aufenthaltsort Gaddafis ist die Frage, wie viele Kräfte noch hinter ihm stehen und wie sie sich verhalten werden. Auch in den Vororten von Tripolis gibt es noch Gruppen seiner Anhänger, die im ungünstigen Fall auch eine Art Guerillakrieg oder Anschläge auf die neue politische Führung anzetteln könnten. Eine Welle neuer Gewalttaten könnte auch den bevorstehenden Prozess des Neuanfangs behindern.

Am Mittwoch durchkämmten Aufständische in Tripolis Viertel für Viertel der von ihnen kontrollierten Stadtteile nach dem untergetauchten Revolutionsführer und seinen Kämpfern. Mit Checkpoints und systematischen Kontrollen eroberter Straßenzüge sicherten die Aufständischen ihr Territorium. Laut den Rebellen lauerten Heckenschützen rings um Bab al-Asisija und auf der Straße zum Flughafen. In Bab al-Asisija brachen erneut Kämpfe aus, als Rebellen in dem Komplex beschossen wurden. Zunächst war unklar, von wo die Schüsse abgefeuert worden waren. Rebellenkommandeur Mohammed Amin sagte jedoch, die letzten Kämpfer Gaddafis hätten sich in der Nähe verschanzt. In mehreren Stadtteilen von Tripolis dauerten die Gefechte ebenfalls an.

Auch in anderen Landesteilen wurde weitergekämpft. Die Rebellen näherten sich von Westen und von Osten kommend Gaddafis Heimatstadt Sirte, einem der möglichen Zufluchtsorte des Machthabers. Eine Rebellendelegation verhandelte mit Stammesführern über eine kampflose Aufgabe der Stadt. Den Aufständischen gelang es auch, die Kontrolle über die wichtige Küstenstraße zwischen Tripolis und al-Sawija zu erobern. Dort errichteten sie zahlreiche Straßensperren.

Gaddafi selbst meldete sich indes mit weiteren Audiobotschaften zu Wort. In der auf der Website eines von seinem Sohn Saif al-Islam geführten Senders veröffentlichten Erklärung sagte Gaddafi, der Komplex Bab al-Asisija sei nur noch ein Schutthaufen gewesen, nachdem die Nato 64 Raketen auf das Gelände gefeuert habe. „Und wir haben uns aus taktischen Gründen zurückgezogen.“

Später brachte der in Syrien ansässige TV-Sender Arrai Oruba eine weitere, undatierte Botschaft: „Ich gehe unerkannt spazieren, ohne dass die Menschen mich sehen“, sagt Gaddafi darin. „Die Einwohner von Tripolis, die Stämme, die Jungen, die Alten“ sollten auf die Straße gehen, um „Tripolis von den Ratten zu säubern“.