Notwehr gegen rabiate Kontrolleure erlaubt

Amtsgericht spricht einen 35-Jährigen frei, der einen U-Bahn-Kontrolleur geschlagen haben soll. Die Mitarbeiter des privaten Wachdienstes seien so rabiat vorgegangen, dass Notwehr angebracht gewesen sei, urteilt der Richter

Menschen, die rabiat von Fahrkartenkontrolleuren behandelt werden, dürfen sich wehren – zur Not sogar mit einem Schlag. Mit diesem deutlichen Urteil begründete gestern das Amtsgericht Berlin den Freispruch für einen 35-jährigen Journalisten.

Anatol Wiecki war angeklagt, vor vier Jahren im U-Bahnhof Rosa-Luxemburg-Platz einen Kontrolleur geschlagen zu haben. Wiecki hatte nach eigenen Angaben am 16. August 2003 gegen 1 Uhr morgens den U-Bahnhof betreten. Dort prüften acht Kontrolleure in Zivil Fahrscheine. Wiecki, der für den Offenen Kanal arbeitete und jetzt das Medienportal www.medienhure.de schreibt, wollte die Szene filmen. Einer der Kontrolleure habe ihn aufgefordert, die Kamera auszuschalten, ein anderer mit der Hand das Objektiv abgedeckt. Er habe sich geweigert, sein Filmmaterial herauszugeben, und stattdessen seinen Presseausweis gezeigt, berichtete Wiecki vor Gericht.

Die Kontrolleure waren bei einer privaten Sicherheitsfirma beschäftigt, die im Auftrag der BVG die Fahrgäste überprüfte. Drei der Kontrolleure hätten Wiecki in das Aufsichtshäuschen auf dem U-Bahn-Steig geschleppt, berichtete ein mittlerweile pensionierter Mitarbeiter der BVG vor Gericht. Einer habe den Journalisten in den Schwitzkasten genommen, zwei andere hätten ihn an Armen und Beinen „wie eine tote Sau“ getragen. Dann sei Wiecki in den Raum geworfen worden, sagte ein weiterer ebenfalls längst pensionierte BVG-Mitarbeiter aus. Wiecki hatte daraufhin per Handy die Polizei alarmiert und die Kontrolleure angezeigt. Diese gaben jedoch an, der Journalist habe einen von ihnen mit einem Faustschlag am Kopf verletzt.

Die Ermittlungen gegen die Kontrolleure wurden längst eingestellt. Der Prozess gegen Wiecki aber zog sich hin. Sechsmal kam er in den letzten zwei Jahren mit seinem Verteidiger Hans-Christian Ströbele ins Amtsgericht. Doch immer wieder wurde die Verhandlung vertagt, weil beteiligte Kontrolleure nicht als Zeugen vor Gericht erschienen.

Die seien aufgrund ihrer „Wir sind die Größten“-Art unter BVG-Mitarbeitern längst bekannt gewesen, berichtete einer der ehemaligen Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe. „Die Truppe war sehr rabiat, gelinde gesagt“, sagte er im Zeugenstand. Mit den Worten „Ihr haltet doch zu uns! Wir sind doch Kollegen!“, hätten die Kontrolleure die BVG-Mitarbeiter an jenem Morgen kurz vor dem Eintreffen der Polizei um eine parteiliche Aussage gebeten.

Nach solchen Aussagen waren sich der Richter und sogar der Staatsanwalt einig darüber, dass die Kontrolleure ihre Gegenanzeige erfunden haben. „Offensichtlich sind die Tätlichkeiten von den Kontrolleuren ausgegangen“, sagte der Richter in seiner Urteilsbegründung. Er bezweifelte, dass es den Schlag von Wiecki überhaupt gegeben hat. Aber selbst wenn, würde das für eine Verurteilung nicht ausreichen. Denn, so bestätigte der Richter dem Angeklagten, „Sie waren zur Notwehr berechtigt“.

UTA FALCK