Das Ende der Netzeitung

Nach dem fünften Besitzerwechsel in sieben Jahren ist von einem ehrgeizigen Projekt nur noch der Name geblieben

Innovation, Rückschritt oder Rausschmiss? Diese Frage stellt sich den Mitarbeitern der Netzeitung. Am 8. November 2000 angetreten, um ein ernstzunehmendes Online-Pendant zu gedruckten Tageszeitungen zu bieten, steht jetzt sowohl der journalistische Gehalt der Netzeitung als auch das Gehalt der Mitarbeiter auf der Kippe.

Der Verkauf des Mediums an den britischen Investor David Montgomery ist der fünfte Besitzerwechsel in der knapp siebenjährigen Unternehmensgeschichte. Und voraussichtlich mit großen Neuerungen verbunden, denn Montgomery ist zudem Chef der Berliner Verlag Deutschen Zeitungsholding, zu der neben Hamburger Morgenpost und Berliner Kurier auch die Berliner Zeitung gehört, die ihrerseits das Nachrichtenportal Berlin-Online betreibt. Mitarbeiter fürchten nun um ihre Jobs, denn bei engerer Verzahnung der beiden Internetseiten werden voraussichtlich nicht mehr alle derzeit Beschäftigten gebraucht.

Entlassungen hat es schon im Januar gegeben. Es war die erste Amtshandlung der neuen Chefredakteure Michael Angele und Matthias Ehlert: Allen freien Mitarbeitern wurde gekündigt, wobei der Status „frei“ relativ war, denn nach Einschätzung eines Mitarbeiters handelte es sich bei diesen „Freien“ um „nicht fest angestellte Redakteure, die aber genauso im Schichtbetrieb arbeiteten wie alle anderen auch“. Mit einem Schlag trennte sich die Netzeitung von fast der Hälfte ihrer Belegschaft. Verblieben sind etwa 15 Netzeitungs-Redakteure und etwa 25 Mitarbeiter, die den Videotext für ProSieben und Sat.1 verantworten.

Kaum verwunderlich also, dass die journalistische Qualität der Netzeitung seitdem leidet und die wenigen Redakteure verstärkt auf Agenturmeldungen zurückgreifen müssen. Diese Entwicklung wird sich weiter verstärken, denn der neue Geschäftsführer Robert Graubner, der auch Chef von Berlin-Online ist, hat intern bekannt gegeben, dass der Kern der Nachrichten beider Internetseiten zukünftig aus dem Videotext übernommen werde.

Angst um ihre Jobs haben dennoch auch die Mitarbeiter dieser Abteilung, denn Graubner will möglichst alle Mitarbeiter des Videotextes fest anstellen. Das widerstrebt den meisten der dort Beschäftigten, denn diese Arbeit sei „nicht gerade der anspruchsvollste Journalismus“, sagt ein Betroffener. Laut FAZ ist Online-Journalist nach Graubners Verständnis ein Synonym für „Content-Manager“, „News-Aggregator“, „Google-Optimizer“ und „Channel-Manager“.

Auf der Sitzung des Betriebsrats am Mittwoch wurden die Mitarbeiter von einem Arbeitsrechtler beraten. Die Hälfte will gehen. Am Freitag kamen Redaktion und Geschäftsführung dann zu Gesprächen über den zukünftigen „Workflow“ und Details des neuen Netzeitungs-Konzepts zusammen, in dieser Woche sollen Einzelgespräche folgen.

Die beiden Chefredakteure Michael Angele und Matthias Ehlert werden sich nach gerade sieben Monaten im Amt von Mittwoch an anderen Aufgaben widmen. Trotz nach Einschätzung eines Mitarbeiters weitestgehender sozialer Inkompetenz ist mittlerweile offiziell, dass beide in die Holding aufsteigen werden. KERSTIN RUSKOWSKI