Arbeiten an der Borderline

Als Journalisten akkreditiert, hat das Künstlerduo Korpys/Löffler seine eigenen Bilder von den Protesten gegen G8-Gipfel und in Gorleben produziert. Der Bremer Markus Löffler erzählt über Vereinnahmungsversuche von beiden Seiten und die Psychologisierung des Widerstands. Er weiß: Gorleben ist out

VON ANNEDORE BEELTE

Wer in Heiligendamm mit einer Kamera auftauchte, wurde hemmungslos umworben – von beiden Seiten. Auf der einen Seite gibt es das Pressezentrum, in den Augen von Andree Korpys eine Art „Club Robinson für Journalisten“. Sektkühler auf den Tischen, ein überbordendes Büffet. Mit Bussen oder Hubschraubern geht es zu den Schauplätzen des Gipfeltreffens, wo die Wartezeit durch das nächste Büffet verkürzt wird. Auf der anderen Seite die Demonstranten, die die Filmemacher gerne als Schutzschild der nächtlichen Blockade einspannen würden: „Könnt ihr nicht noch bleiben? Wenn ihr weg seid, werden wir geräumt.“ Oder auch für kleine Handlanger-Dienste: „Nehmt ihr die Suppe mit durch die Straßensperre?“

Das aus Bremen stammende Künstlerduo Andree Korpys und Markus Löffler alias Korpys/Löffler akkreditiert sich bei Großereignissen wie dem Bush-Besuch 2004 in Berlin, den vatikanischen Zeremonien, dem Castor-Transport nach Gorleben oder eben beim G8-Gipfel als Journalisten. Für die aktuelle Ausstellung im Edith-Russ-Haus haben sie ihre Eindrücke von den beiden letzteren Ereignissen zu dem Film „Eure Kinder werden so wie wir“ verschmolzen.

Die Bilder, die sie aus dem Presse-Pulk heraus produzieren, unterscheiden sich manchmal gar nicht so sehr von den gewohnten Nachrichtenbildern: Da sind heitere G8-Gegner, unerschütterliche Sicherheitsleute und Politiker, die man irgendwo vielleicht schon mal gesehen hat. Dazwischen zoomt die Kamera auf Nahaufnahme. Wie das Auge des jungen Werthers, der selbstvergessen und ich-entgrenzt auf der Wiese liegt, bleibt sie an Schmetterlingen, Schnecken und grünschillernden Fliegen hängen. Mit wertheresker Zärtlichkeit sieht sie den arglosen Blumenkindern zu, die Ball spielen, singen oder La Ola machen. Ein Schelm, wer hier eine propagandistische Ästhetik erblickt. Fasziniert hat das Künstlerduo, wie ungeniert die Demonstranten ihren Rotznasen-Charme zur psychologischen Kriegsführung einsetzten: „Eure Kinder werden so wie wir“, riefen sie den Polizisten entgegen. Eine Psychologisierung, in der Andree Korpys eine neue Strategie des Widerstands erblickt.

Die Castor-Gegner können diesen Charme nicht für sich in Anspruch nehmen. „Gorleben ist total out“, will Markus Löffler festgestellt haben. Die Widerständler sind eine Generation älter als in Heiligendamm. Zwischen ihnen und den Polizisten habe sich ein routiniertes stillschweigendes Einverständnis eingestellt. „Geht es so? Können wir Sie so wegtragen?“, fragen die Einsatzkräfte, bevor sie sich einen betagten Wendländer vornehmen – um ihn fürsorglich gleich an der Gulaschkanone abzusetzen. Im Film tauchen die Castor-Gegner allenfalls als hexenhaft durch den Regen huschende Schatten auf. Während sich in Heiligendamm, wie Markus Löffler es beobachtete, die Presse stets an vorderster Front tummelte und als erste Prügel und Wasserschwaden einsteckte, seien in Gorleben selbst die Dokumentare der Bewegung ermüdet. „Was soll ich noch filmen?“, fragte einer. „Ich kenne schon jede Perspektive.“

Die Arbeiten von Korpys/Löffler sind als Borderline- oder auch Freejazz-Journalismus apostrophiert worden. Letzteres zumindest gefällt Markus Löffler: „Wir verfolgen ein Ziel, aber driften immer wieder ab.“ Er selbst bezeichnet seine Filme auch schon mal als „Abfallprodukte“ der Erfahrung. Seit ihrer Studienzeit Anfang der neunziger Jahre in Bielefeld arbeiten Korpys und Löffler zusammen, auch wenn mittlerweile der eine in Berlin, der andere in Bremen lebt. Sogar ihrer Aufgaben als Gastprofessoren an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg nehmen sie im Duett wahr. Für Markus Löffler ist die Teamarbeit auch eine Form der Selbstkontrolle: „Man muss sich immer rechtfertigen.“

Vielleicht seine schönsten Momente hat der Film, wenn er die Polizisten als verlorene Helden in der Landschaft inszeniert, die einem Spaghetti-Western entstiegen sein könnten. Ansonsten wollen Korpys/Löffler der Naturverbundenheit der Demonstranten die technisch hochgerüstete Staatsmacht gegenüberstellen. Physische Gewalt ist der blinde Fleck des Films. „Wasserwerfer geben uns nichts“, sagt Markus Löffler. Er interessiert sich für subtilere Gewaltformen, für die Choreografie der Drohkulisse. Korpys/Löffler machten damit ihre Erfahrung, als sie den Schauplatz des Geschehens verlassen wollten und feststellten, dass sie ihre Autoschlüssel im Wagen stecken gelassen hatten. Bevor der zu Hilfe gerufene Polizist herbeieilte, musste er noch rasch einen Hubschraubereinsatz dirigieren. Er ließ ein Geschwader von Hubschraubern wie Geier über dem Camp der Demonstranten kreisen, zu keinem erkennbaren Zweck außer der Einschüchterung. Dann stellte er bereitwillig seine Fertigkeiten als Einbrecher zur Verfügung.

Sonntag, 29. Juli 2007, 18 Uhr, Filmabend und Künstlergespräch mit Markus Löffler im Rahmen des Oldenburger Tags der Museen; Ausstellung Korpys / Löffler_Corinna Schnitt bis 23. September im Edith-Ruß-Haus für Medienkunst, Oldenburg