Das Krippenwunder

Noch vor wenigen Jahren gab es in Bad Kissingen keinen Krippenplatz für Kleinkinder. Heute bieten die Bayern jedem Zweijährigen einen Platz an

AUS BAD KISSINGEN KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Wer im Kur- und Staatsbad in aller Öffentlichkeit pinkelt, zahlt 300 Euro, wer auf den Gehsteig spuckt, 100 Euro. Karl Heinz Laudenbach hat Bad Kissingen gründlich gesäubert. „OB Gnadenlos“ nennt ihn die Boulevardpresse seitdem. Sein Bußgeldkatalog sorgte bundesweit für Schlagzeilen.

Jetzt beeindruckt der „Rambo von Unterfranken“, wie der nächste Woche 50 Jahre alt werdende Rathauschef auch schon apostrophiert wurde, erneut die Republik: diesmal allerdings mit einer Rekordleistung in der Frauen- und Familienpolitik. Die Kreisstadt mit ihren 24.500 Einwohnern ist nämlich inzwischen die Kommune in Deutschland, die in Proportion zur Gesamtbevölkerung mit die meisten Krippenplätze für Kinder unter drei Jahren anbietet. Und das „flächendeckend fußläufig nah“, wie Laudenbach betont. Vor fünf Jahren noch war das lange als „Schnarchstadt“ für Rentner und Beamte geschmähte Bad Kissingen in dieser Statistik Letzter.

Der mit dem Segen der CSU und 62,5 Prozent direkt an die Spitze der Verwaltung gewählte Laudenbach blickt heute „mit Stolz“ auf seine Stadt. Bad Kissingen mit seinen 68 Hotels und 12 Rehabilitationskliniken präsentiert sich rund 1,5 Millionen Besuchern jährlich so sauber wie geleckt – und ist jetzt auch noch kinder- und familienfreundlich.

Eine Frau von der Leyen habe man für diese Veränderung nicht gebraucht; nur eine gute Zusammenarbeit zwischen dem Rathaus und den Trägervereinen der Kindergärten, meint Horst Schneider vom katholischen St. Johannisverein. Der 63-Jährige betreibt den marineblau angestrichenen Kindergarten „Am See“. Seit 2002 dürfen die 13 Kindergärten in Bad Kissingen Kinder von 2 bis zu 12 Jahren aufnehmen und betreuen.

„Am See“ ist ein offener Kindergarten, der sich konzeptionell an den Thesen von Pestalozzi und Montessori orientiert. Kinder aller Altersstufen werden in Familiengruppen dazu angehalten, sich sozial verträglich zu verhalten und auch Integrationsarbeit zu leisten: „Die Großen nehmen die Kindergartenkinder an die Hand; und die Kindergartenkinder kümmern sich um die Zweijährigen“, erklärt die 46-jährige Leiterin des Kindergartens, Susanne Kleinhenz. Die Zweijährigen wiederum könnten sich bei den Älteren ihre Vertrauenspersonen selbst aussuchen. Multikulturell gehe es zu auch in den katholischen Kindergärten der Stadt. Und interreligiös dazu. Für das Integrationskonzept, das auch behinderte Kinder einschließt, gab es schon 2002 den Bayerischen Sozialpreis.

Von den rund 100 Kindern „Am See“ sind 15 unter drei Jahre alt. Insgesamt besuchen 50 Knirpse die Kindergärten in der Stadt – weniger als Plätze vorhanden sind. Und die Preisfrage? 80 Euro im Monat kostet ein Kindergartenplatz für die werktägliche Betreuung bis zum Mittag, jede weitere Stunde 5 Euro zusätzlich. Für Kinder, die bis 17 Uhr bleiben, müssen also maximal 105 Euro pro Monat bezahlt werden.

Das sei natürlich ein Verlustgeschäft für die Kommune, sagt Laudenbach. Rund 200.000 Euro pro Jahr müsse die Stadt alleine für die Krippenplätze aufwenden. Doch die Betreuung der unter drei Jahre alten Kinder sei eine „Investition in die Zukunft“. Bad Kissingen werde so für junge Familien und Alleinerziehende attraktiv. Die Stadt sei überaltert und brauche dringend „frisches Blut“ und qualifizierte Arbeitskräfte, die der Kommune das Überleben sicherten.

Der gestresste Topmanager und die Unternehmerin sollen zum Relaxen ins Staatsbad kommen, in einem der Luxushotels wohnen und dann den Abend im Gourmetrestaurant nebenan oder im mondänen Casino ausklingen lassen. Ein „königliches Vergnügen“ wie schon einmal im 19. Jahrhundert müsse der Kuraufenthalt in Bad Kissingen bald wieder werden, wünscht sich auch die Kurdirektion. Kaiser, Zaren und Fürsten besuchten damals das „Weltbad.“ Heute lockt die Kurstadt die Reichen und Schönen mit fernöstlichen Heilmethoden, praktiziert von „echten Chinesen“ (Laudenbach), und mit Konzerten der Spitzenklasse. Der Pianist Lang Lang war schon da; und die Bartoli ebenso.

„Die Sache funktioniert“, freut sich Laudenbach. Mit dem Erfolg sei auch der Bedarf an hoch qualifiziertem Personal gestiegen Und genau deshalb stehe Bad Kissingen jetzt an der Spitze der Kommunen, die Betreuungsplätzen für unter drei Jahre alte Kinder anbieten. In Stellenanzeigen wird mit diesem Standortvorteil inzwischen geworben. Jetzt will der Oberbürgermeister die Kindergärten sogar für die Einjährigen öffnen. Bis zum nächsten Direktwahltermin im März bleibt ihm noch Zeit für die Umsetzung. Danach will der „Rambo“ allerdings aufhören – aus Verärgerung über eine Gegenkandidatur ausgerechnet aus den Reihen der CSU, die ihn bisher unterstützt hatte. Ist das sein letztes Wort? Laudenbach: „Ein Mann, ein Wort.“